Selbstheilung: Placebo und Nocebo Effekte

Die aktuelle Forschung von Placebos und Nocebos belegt mittlerweile gut, dass psychische Faktoren entscheidend dazu beitragen, wie es uns gesundheitlich geht. Nimmt man Placebo und Nocebo Effekte unter die Lupe, kann man interessante Rückschlüsse ziehen, wie Selbstheilung funktioniert. In diesem Artikel wollen wir Ihnen einige Forschungsergebnisse vorstellen und zeigen, wie Sie heilende Effekte mit Placebos selbst erzeugen können.

Doch bevor wir über bereits bekannte Effekte von Placebos und Nocebos näher betrachten, sollten wir zuerst verstehen, um was es bei dieser Thematik geht.

Was sind Placebos / Placebo Effekte?

Das Wort „Placebo“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „Ich werde gefallen“. Den meisten Menschen ist bekannt, dass es sich bei Placebos um sogenannte „Scheinmedikamente“ handelt, die keinen medizinisch bekannten Wirkstoff enthalten.

Sie bestehen beispielsweise nur aus Zucker oder Stärke, die mit Zusatzstoffen in Farbe oder Geschmack angepasst werden. Aber auch „Scheinoperationen“ – also vorgetäuschte Operationen – werden als Placebos bezeichnet.

Placebo: Wie funkioniert der Placebo-Effekt?

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden Placebos systematisch zur Erforschung der Wirksamkeit von Medikamenten eingesetzt [1]. Hierbei will man feststellen, ob sich ein „echtes“ Medikament signifikant in der Wirkung von einem Scheinpräparat unterscheidet.

Diesen Unterschied belegen zu können, war lange Zeit Voraussetzung für die Zulassung eines neuen Medikaments bei den Gesundheitsbehörden.

Der amerikanische Hochschullehrer an der Harvard Medical School – Henry K. Beecher – quantifizierte als Erster den Placebo-Effekt, indem er nachweisen konnte, dass 35 % seiner Patienten positiv auf den Placebo-Effekt reagierten [2].

Aber auch Scheinoperationen wirken, wie in einem Experiment in Houston in Texas mit 180 Patienten mit Knie-Arthrose gezeigt werden konnte. Dabei wurde die nur Hälfte der Patienten tatsächlich operiert, während die andere Hälfte nur oberflächliche Schnitte auf der Haut erhielt. Bei einer Befragung nach 2 Jahren waren 90 % der Patienten beider Gruppen mit der „Operation“ sehr zufrieden. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Gruppe der Nicht-Operierten weniger Schmerzen verspürte, als die Gruppe der Operierten [3].

Da die Patienten bei solchen zufallsgesteuerten Doppelblindstudien nicht wissen, zu welcher Gruppe sie gehören, spielt die Erwartungshaltung – d. h. behandelt und geheilt zu werden – eine große Rolle. Wie stark sich unsere Erwartungshaltung körperlich auswirken kann, zeigen auch Erfahrungen mit sogenannten Nocebo-Effekten.

Was sind Nocebo-Effekte?

Ein Nocebo (lat. für „Ich werde schaden“) ist der böse Bruder des Placebos, in dem er eine negative Wirkung beim Patienten erzeugt – sprich ihm mehr oder weniger schadet. Er entsteht beispielsweise dadurch, dass ein Arzt einem Patienten ausführlich über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen eines Medikaments aufklärt.

In der Dokumentation von Derren Brown „Apocalypse and fear“ [4] wird praktisch gezeigt, wie Patienten – direkt nach der Einnahme eines Placebos – über die (frei erfundenen) Nebenwirkungen berichten, die ihnen vorab mitgeteilt wurden.

Wie eine Studie des Universitätsklinikums in Hamburg-Eppendorf belegt, kann die Wirkung einer negativen Erwartungshaltung sogar soweit gehen, dass auch „echte“ Schmerzmittel versagen, wenn wir nicht an sie glauben. [5]

Placebo und Nocebo bei ärztlicher Behandlung

Als Ergebnis der Noceboforschung ist festzuhalten, dass man Menschen durch anschauliche Beschreibungen von Krankheit, Leiden und Schmerz etc. auch krank machen kann. Interessant ist dieser Kontext beispielhaft auch bei den aktuellen Anti-Raucher-Kampagnen. Was passiert, wenn bei Rauchern die grausame Darstellungen von Siechtum und Tod tatsächlich als Nocebo wirken?

Wenn unsere Vorstellungskraft direkte körperliche Wirkungen hervorrufen kann, sollten wir bewusst und sorgsam damit umgehen. Aber wie kann man Placebo-Effekte selbst gezielt nutzen?

Offene Placebo-Effekte zur Selbstheilung nutzen

Eine mögliche Antwort gibt der Medizinprofessor Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School in Boston, der den sogenannten Offenen-Placebo-Effekt erforscht [6]. „Offen“ ist der Placebo-Effekt insofern, als Dr. Kaptchuk seine Patienten ehrlich darüber informiert, Placebos zur Behandlung zu nutzen.

Allerdings erklärte er seinen Patienten auch, dass nicht die Tablette, sondern das Ritual (rund um die Verwendung des Placebos) sich positiv auf ihre Heilung auswirkt. Er legte darauf Wert, möglichst detailliert und anschaulich zu beschreiben, wie ein bestmögliches Ergebnis einer Genesung aussieht.

Offene Placebo-Effekte zur Selbstheilung nutzen

Es war ihm ebenso wichtig, dass alle Patienten den Sinn und Zweck der Therapie verstanden, d. h. den Optimalfall klar vor Augen hatten. Denn die Heilerwartung des Einzelnen ist einer der zentralen Faktoren einer erfolgreichen Behandlung.

Hierbei kann man sich zunutze machen, dass das Gehirn keinen Unterschied zwischen „Vorgestelltem“ und „Wahrgenommenen“ macht [7]. Wichtig ist, dass die eigene Vorstellung möglichst lebendig ist und mit positiven Gefühlen verbunden wird.

Lebendig wird eine Vorstellung, in dem man konkrete Bilder der Heilvorstellung mit möglichst vielen Sinneseindrücken verknüpft.

Nehmen wir als Beispiel eine Schnittwunde am Knie: Als Heilungserwartung stellen wir uns …:

  • ein völlig gesundes Knie vor
  • es ist Sommer und wir tragen kurze Hosen
  • die Haut fühlt sich glatt und weich an
  • es riecht angenehm nach Frühling
  • wir hören Vögel zwitschern
  • wir springen fröhlich durch den Garten
  • die ehemalige Wunde ist völlig narbenfrei verheilt
  • die Hautfarbe ist rosig und gesund
  • wir können ohne Probleme Übungen machen – das Knie funktioniert wie geschmiert und macht alles wie selbstverständlich mit

Zudem kann die Heilserwartung durch Gespräche mit anderen Menschen gestärkt werden. Ein vertrauter Arzt, Therapeut oder Freund, der die positiven Erwartungen bestätigt. Denn gerade die freundschaftliche, positive Unterstützung wird als einer der stärksten Aktivatoren des Placebo-Effekts angesehen.

Diese Einstellung verknüpft man am Ende mit einem Ritual, d. h. die positive Suggestion plus die Einnahme des Placebos werden regelmäßig (z. B. drei bis viermal am Tag) durchgeführt.

Dabei soll auch das Ritual selbst die positiven Heilerwartungen stärken, in dem wir uns Zeit nehmen und bewusst vergegenwärtigen, dass wir jetzt gerade etwas Gutes für unsere Gesundheit tun.

Um sich positiv auf das Ritual einzustimmen, hält man sich bestimmte Zeiten am Tag frei, an dem man es in Ruhe ausführt. Außerdem kann man noch andere Trigger die mit positiven Gefühlen besetzt sind einbauen. Mögliche Beispiele hierfür sind: Eine fröhliche Musik, ein guter Duft, ein leckeres Essen usw. – also einfach etwas, das positive Gefühle erzeugt und verstärkt.

 Offene Placebo-Effekte zur Selbstheilung nutzen

Da unser Gehirn Erfahrungen als eine Art „Gesamterleben“ abspeichert, werden das Erlebte und die dazu gehörigen Gefühle eine Einheit. Sobald dieser Mechanismus verinnerlicht ist, kann allein schon der Gedanke – gleich den „Wunder-Placebo“ einzunehmen – gute Laune auslösen.

Auch ergänzende Methoden – wie eine entsprechende Hypnose – helfen uns zusätzlich, unsere Psyche optimal auf eine Genesung einzustimmen. Als Tipp aus persönlicher Erfahrung sei angemerkt, dass es mir sehr geholfen hat, verschiedene Dokus zu diesem Thema anzusehen. Denn mir war – als Skeptiker – vorab nicht bewusst, welche enormen Wirkungen der Selbstheilungskräfte heute schon bekannt sind.

Sehr beeindruckend fand ich die Doku von Derren Brown [4], der Heilungserfolge für unterschiedliche Probleme (z. B. Ängste, Allergien, Raucherentwöhnung etc.) anschaulich zeigt.

Dabei sind auch Forschungen auf verwandten Gebieten interessant, denn auch die Hypnose wirkt auf unsere Psyche und verstärkt heilende Effekte. Hypnose kann man heute beispielsweise schon als Alternative zur Narkose einsetzen – sprich der Patient wird ohne Narkose unter Hypnose völlig schmerzfrei operiert. Für mich ein beeindruckendes Beispiel …

Unter dem Strich sind all diese Forschungen Ansätze, die uns einen kleinen Einblick in das große Potential unserer Psyche geben. Die enorme Kraft der Selbstheilung ist schon lange kein Mythos mehr – sondern Realität. Wir müssen uns nur darauf einlassen und bereit sein, es selbst an uns zu testen.

In diesem Sinne: Viel Erfolg beim Aktivieren Ihrer Selbstheilungskräfte!

Quellenangaben

[1] Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Placebo – Die Geschichte des Placebos
[2] Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_K._Beecher – Beecher und der Placeboeffekt
[3] BR – https://www.br.de/themen/ratgeber/inhalt/gesundheit/placebo-wirkung-gesundheit100.html – Scheinoperationen
[4] Derren Brown „Apocalypse and fear“ – Staffel 1 Folge 3 und 4 – Netflix
[5] Spiegel Online – http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/negativer-placeboeffekt-schwarzsehen-macht-schmerzmittel-wirkungslos-a-746106.html
[6] Zeit Online Artikel „Ich heile mich selbst“ von Max Lebsanft – 28.11.2016
[7] Rainer Bösel – Wie das Gehirn Wirklichkeit konstruiert – Taschenbuch – ISBN-10: 9783170302655

Tony Kühn