Welchen Einfluss hat die „Gier““ auf unser Handeln?“

Gab es je einen Menschen ohne Gier? Wohl kaum. Die Gier hat viele Gesichter, nützliche, harmlose und schädliche.

Gier Politik GeselschaftskritikIn ihrer positiven Form war Gier bereits unsere Geburtshelferin, auch die der Menschheit, der Kultur und der Zivilisation. In negativer Form war und ist sie die treibende Kraft bei Unfrieden und Krieg, in positiver Form ist sie die Amme und Erzieherin des Menschen.

So füttert sie uns mit Wissen und führt zu einem bewussteren und selbstbestimmten Leben.

In negativer Form hingegen verführt sie uns mit falschem Wissen und unbeherrschten Emotionen zu zerstörerischem Handeln. – Jede Seite der Gier hat ihre speziellen Helfer.

Welche Arten der Gier kennen wir?

Begehren, Begierde

Richtunggebend sind beim Begehren geistige Faktoren wie etwa Emotionen, Fantasien und Wünsche. Bei der Begierde hingegen sind es vor allem körperliche Faktoren, also Triebe, Schmerzen, Hunger und Durst. Solange die Begierde auf der organischen Ebene bleibt, ist sie nützlich. Wenn aber aus der geistig-seelischen Ebene Emotionen und Wünsche dazu kommen, wird sie zum Risiko.

Das Gute am Begehren und an der Begierde ist, dass sie auf körperliche oder seelische Mängel hinweisen, die, sobald sie erkannt sind, behandelt werden können.

Neugier, Wissbegierde

Neugier in positiver Ausprägung ist ein Reiz, um Neues zu erfahren und Verborgenes kennenzulernen. Negativ wird sie, wenn sie auf permanent wechselnde Ereignisse ausgerichtet ist, um dadurch Lust an Sensationen befriedigen zu können.

Wissbegierde kann man es nennen, wenn Sensationen nicht von Interesse sind und die Neugier auf Wissenswertes ausgerichtet ist. Dann stehen forschungs- oder verstandesmäßige Anteile im Vordergrund.

Für die antiken Naturphilosophen war Neugier der Antrieb hinter die Dinge schauen zu wollen. Für Platon war das Staunen der Anfang aller Philosophie. Für Herodot war sie der Hauptantrieb für seine Geschichtsschreibung.

Habgier, Geiz

Habgier ist übersteigertes Streben nach materiellem Besitz, unabhängig vom Nutzen und eng verwandt mit Geiz. Habgier kann zu den negativen Grundeigenschaften in der menschlichen Kultur gezählt werden. Darum auch die große Bedeutung in Sagen, Märchen und Religionen. Bei den Katholiken stehen der Geiz und die Habsucht (nach dem Hochmut) an zweiter Stelle der sieben Todsünden.

Die Sage vom König Midas erzählt, er habe den Gott Dionysos gebeten, alles was er berührt, möge zu Gold werden. Der Wunsch wurde gewährt. Doch nun wurde auch seine Nahrung zu Gold, und Midas war am Verhungern. Durch ein Bad im Fluss Paktolos gelang es ihm, sich von diesem tödlichen Geschenk zu befreien.

Wie zeigt sich die Gier heute?

Gier, so scheint es, macht die Welt kaputt. Diese Befürchtung hat heute so ziemlich jeder, sogar manch Obergieriger. Niemand, der nicht geisteskrank ist, will die Welt mit Absicht kaputt machen, abgesehen von einer handvoll Fanatiker, die im Ernst meinen in Gottes Auftrag den Weltuntergang herbeiführen zu müssen.

Jedoch ein Panik machender Chef eines Pharmakonzerns, ein maßloser Industriekapitän, rücksichtsloser Baulöwe, gewinnsüchtiger Banker, karrieregeiler Manager oder machtgieriger Politiker möchte es gewiss nicht. Keiner aus dieser Riege, ob männlich oder weiblich, denkt ernsthaft an die Welt, jeder denkt vor allem an sich, seine Ziele und an das System, das ihn trägt: meist an Gewinnmaximierung, Wachstum, Marktwert, Absicherung, Kompetenzerweiterung, Selbstdarstellung und Machterweiterung.

Es gibt allerdings auch Menschen, die imstande wären einen millionenschweren Lottogewinn zugunsten Bedürftiger zu verschenken.

Vielleicht mit dem Argument: Ich habe alles, was ich zum Leben brauche, und meiner Verwandtschaft und sogenannten Freunden traue ich nicht.

Würde dieser Mensch tatsächlich selbstlos handeln? Zumindest würde er sich damit ein gutes Gefühl verschaffen.

Vielleicht das Gefühl etwas Sinnvolles in seinem Leben getan zu haben, möglicherweise mit der Hoffnung auf Lohn in einem Jenseits.

Wie dem auch sei, selbstlos und ganz frei von Gier wäre auch er nicht.

Treffen sich also Gier und Selbstlosigkeit am gleichen Punkt?

Beide möchten das Selbstwertgefühl heben. Jeder Psychologe bestätigt: Ein seelischer Mangel verlangt Ausgleich – egal mit welchen Mitteln. Selbst ein Superstar, der alles erreicht hat – Geld, Ruhm und Macht –, kennt, wenn er nach erfolgreichem Auftritt in seiner Hotelsuite allein ist, das Gefühl der Leere, vielleicht leidet er sogar an Depressionen und sagt sich: „Bald ist alles vorbei, und ich bin Geschichte. Auch wenn meine Werke mich überleben sollten, was wird dann mein Ego davon haben?“

Obwohl Gier eine natürliche und lebensnotwendige Eigenschaft ist, haben wir mit ihr ein großes Problem: Wir wissen, mit den Möglichkeiten von heute wäre sowohl der Untergang der Menschheit als auch ein Paradies auf Erden machbar. Die Kardinalfrage bei dieser Lage ist: Wie geht man jetzt am besten mit der unausrottbaren Gier um?

Druck von außen, Druck von innen

Die Natur mit ihren möglichen und realen Katastrophen hat die Menschen nie zur Ruhe kommen lassen. Und wenn die Natur sie mal in Ruhe ließ, machten sie sich entweder untereinander Stress oder sie wurden vom eigenen Inneren getrieben – so war es immer, so ist es auch heute. Heute haben wir aber noch ein anderes Problem: Wir drehen uns im Kreis wie vor einer Mauer.

Altes wird entweder in abgewandelten Formen ständig wiederholt oder bis zum Äußersten perfektioniert. Wirklich Nützliches gibt es kaum. Pessimisten sehen diesen Zustand als Abgrund, Optimisten eher als Steilwand. Abgrund würde zur negativen Gier passen, Steilwand zur positiven. Beide signalisieren das Ende eines Weges. Allerdings mit dem Unterschied, dass es im negativen Fall das Ende der Menschheit wäre, im positiven hingegen eher eine Aufforderung ernsthaft nach neuen Wegen, die weiter nach oben führen, zu suchen.

Wie kann es weiter gehen?

Weil Gier elementar ist, sollten wir einmal auf den Anfang der Expedition „Menschheit“ schauen. Sie begann wie aus dem Nichts und kam in die Wildnis der Welt. Die Menschen mussten sich überlegen, was sie hier eigentlich sollen und wohin sie wollen. Sie mussten sich darüber klar werden, was sie haben und was sie nicht haben. Dabei wurde ihnen bald klar: Sie haben das Leben, wollen es behalten und womöglich steigern.

Von der Natur und vom Himmel wollten sie lernen wie und wo man einen Ort der Sicherheit errichten kann. Bis heute ist das nicht gelungen. Die Weltmodelle, die in Jahrtausenden zur Orientierung geschaffen wurden, erwiesen sich als unzuverlässig. Immerhin konnte damit ein gewaltiger Aufstieg gelingen.

Jetzt, auf dieser nun erreichten Höhe weiß man aber nicht wie es weiter gehen soll. Das gegenwärtige Weltmodell bietet für die Zukunft keine allgemeingültigen Orientierungspunkte mehr. In dieser Notlage versuchen die einen nach eigener Vorstellung Ordnung anzustreben, die anderen trösten sich mit der Vorstellung, dass die Evolution des Lebens mit größter Wahrscheinlichkeit hoch oben im Nebel ein imaginäres Ziel hat, das erstrebenswert ist.

Neue Perspektiven auf die Gier

Jetzt geht es, um weiterzukommen nicht allein um die Frage nach dem Wesen der Gier, jetzt geht es auch um ein neues, besseres Weltmodell.

Seit alters her ist die Grundform unseres Orientierungsmodells rund.

Anfangs hatte es ein Zentrum als Sitz der Götter mit einem Obergott an der Spitze.

Diese Gliederung in Oben und Unten reicht bis in die Neuzeit.

Ab dann wurde es kritisch. Die klar umrissene Welt franste aus, verlor ihre festen Grenzen und zerfiel in lauter Teile.

Geister und Götter wurden vertrieben und der Obergott für tot erklärt.

Heute haben wir eine Welt ohne Zentrum. Unsere Welt ist jetzt, physikalisch und philosophisch gesehen, weder rund noch eckig oder sonst wie in eine Form gefasst.

Sie wabert als formloses Etwas im ewigen Sein. Wir wissen aber, dass sie irgendwie begrenzt ist, weil ihre Gesamtmasse weder erhöht noch gemindert werden kann (Energieerhaltungsgesetz). Warum aber so ein formloses Gebilde dynamisch ist und sogar Leben hervorbringt, ist bislang ein Rätsel. Rätselhaft wird es auch so lange bleiben, bis es ein besseres Weltmodell gibt.

Sehnsucht nach Ganzheit

Unser, vom herkömmlichen Weltbild abhängiges Leben lässt uns allein im wabernden Universum. Wir sehen uns gezwungen, als Partikel in der unsteten Materiewelt irgendwie den Selbstwert unserer kaum zu definierenden Persönlichkeit fest zu machen.

Jeder versucht so gut er kann, sich im unsicheren Gesellschaftssystem einzurichten und ist bemüht, wenn er irgendwie Fuß gefasst hat, seinen Platz mit allen Mitteln zu verteidigen und womöglich auszubauen. Ob auf dieser Basis jemals eine bessere Welt entsteht?

Offensichtlich strebt die Evolution des Lebens nach Ganzheit und kollektiver Selbstfindung. Wenn so ein Zustand, der allen Gegensätzen Sinn in einer lebendigen Ganzheit geben könnte, erreicht wäre, dann könnte die Gier dem Leben und der Entfaltung aller Talente in optimaler Weise dienen.

Uns wäre aber schon gedient, wenn wenigstens die positive Seite der Gier im Alltagsleben eine größere Rolle spielen würde.

Heinz Altmann