Schöpfungsmythen über die Entstehung der Welt

Die Schöpfungsgeschichte der christlichen Religion dürfte im Allgemeinen hinlänglich bekannt sein. Doch wie lauten die Schöpfungsmythen anderer Völker und Kulturen? Hier haben wir für Sie Schöpfungsmythen aus 11 verschiedenen Kulturen zusammengefasst.

Schöpfungsgeschichten aus aller Welt

Fast jedes Volk hat andere Vorstellungen von der Entstehung der Welt entwickelt, oft in Bezug auf ihre klimatischen Verhältnisse oder natürlichen Gegebenheiten. Aber es gibt auch immer wieder Übereinstimmungen in den Schöpfungsgeschichten, unabhängig von der Zeit oder dem Ort, an dem die Mythen entstanden sind.

Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit werde ich verschiedene Schöpfungsmythen erzählen, wie sie in Europa und Afrika, in Asien oder Amerika überliefert sind.

Schöpfungsgeschichte aus Finnland

Schöpfungsmythos aus Finnland

Im finnischen Heldengedicht „die Kalevala“ besteht am Anfang der Himmel und ein endloses Meer, durch deren Leere die einsame Luonnatar trieb. Als sie ihre Einsamkeit nach 700 Jahren in Worte fasst, entsteht aus dem Klang der Worte ein weißer Vogel, der zwei Eier auf Luonnatars Knie legt, welche ins Meer gespült werden.

In der dunklen Tiefe des Meeres brechen die Eier mit plötzlichen Lichtstrahlen auf, die unteren beiden Hälften der Schalen werden zur Erde, die beiden oberen Schalen zum Himmel. Der Dotter wird zu Sonne, Eiweiß zu Mond, Sternen und Wolken. Auf dem so erschaffenen Land beginnt Luonnatar die Welt aus ihrer Einsamkeit und Leere zu formen, währenddessen der weiße Vogel sein Schöpfungslied singt.

Schöpfungsmythos aus dem alten Ägypten

Die Vorstellung von Nun als unendliches Meer (Urwasser) in der Dunkelheit, der durch seine Stimme Gott Atum aus sich selbst materialisiert. Atums leuchtendes Auge sendet Lichtstrahlen in die Dunkelheit und über das Meer. Atum schafft, wiederum durch Stimme einen „Ort“, einen Hügel, um sich auszuruhen. Zu Kraft gekommen kreiert Atum Shu, Gott des Windes und des Atems sowie Tefnut, Göttin des Wassers, die die Welt erschaffen sollen. Zuvor erhalten sie von Atum das Privileg zu spielen, da sie Götter sind.

Doch sie verirren sich und finden Atum nicht mehr, der sein erstes Auge ausschickt, um die verirrten Götter in der Dunkelheit zu suchen. In der Zwischenzeit lässt er sich ein zweites Auge wachsen und kann seine Umgebung sowie die Rückkehr seines ersten Auges mit Shu und Tefnut beobachten. Er sendet das erste Auge als Licht über den Himmel der neuen Welt (unsere Sonne). Die Wärme der Sonne soll Ra, den Größten aller Götter erwecken.

Über die Rückkehr von Shu und Tefnut vor Glück weinend, entstehen – aus den Freudentränen – die ersten Menschen der Welt. Wir sind die Kinder von Shu und Tefnut und sollen Erde und Himmel bewohnen. Atum gibt den Menschen die Aufgabe für diese Welt zu sorgen, genauso wie er für die Menschen sorgt. Er erschafft Samen, Pflanzen und Tiere, um sie den Menschen zu übergeben.

Benin/Togo: Schöpfungsmythen aus Afrika

Schöpfungsgeschichte aus Afrika

Bei diesen Völkern beginnt der Mythos der Entstehung mit Mawu, dem Schöpfergeist. Es gibt weder Menschen, Pflanzen noch Tiere, nicht Sonne oder Mond, Luft oder Wasser, Tag und Nacht. Nur Mawu, der in seinem tiefen Schlaf durch die Leere treibt und von den Dingen träumt, die einmal sein würden. Die Zeit beginnt als Mawu den Traum zu Ende träumt und erwacht.

Er nimmt die Leere und rollt sie zwischen seinen Handflächen zu einer Schlange, welche durch seinen Atem Farbe und Leben erhält. So wird die Leere zur Regenbogenschlange, die Mawu hilft, die Welt zu erschaffen. Sie erschaffen unbewegtes Meer und flaches Land in die Stille der Welt. Sie ziehen beide über die Welt; Mawu erschafft Berge, gefüllt mit Gold und Edelsteinen; die Regenbogenschlange sorgt für Gräben, wo Flüsse und Bäche entstehen.

Nachdem Mawu vor Freude zu viele Wälder und Tiere erschaffen hat, droht das Land im Meer zu versinken, sodass er die Schlange bittet, das Land hochzuhalten. Auf seine Bitte hin windet sich die Regenbogenschlange dreitausendmal spiralförmig um die Erde, die sie bis zum heutigen Tage auf diese Weise hält. Die Spiralen umkreisen die Erde und bewegen die Planeten und Sterne über den Nachthimmel. Wenn die Sonne durch Regen schimmert, erscheint eine ihrer Spiralen als Regenbogen. Wenn ihre Schuppen aufleuchten, sehen wir Blitz und Donner.

Bewegt sich die Schlange, erschüttert ein Beben die Erde. Wenn sie die Spiralen eines Tages von der Erde löst, wird diese auseinanderfallen und untergehen.

Schöpfungsgeschichte aus dem alten Babylon

Wegen eines Streits der Urgötter, aus dem Süß- und Salzwasser, Feuer, Himmel und Erde erschaffen wurden, ging Marduk hervor, der nach dem Sieg über Tiamat, der Göttin des Salzwassers, die Steine des Schicksals an sich nimmt und aus einer Hälfte Tiamats Mond, Sonne und Sterne schafft, aus der anderen Hälfte die Welt.

Aus dem Blut des Kingu, dem Sohn der Tiamat, schafft Marduk, nachdem er Kingu besiegt hat, die Menschen, welche den Göttern helfen sollen, sich um die für sie geschaffene Welt zu kümmern.

Schöpfungsmythos der Natal aus Südafrika

Schöpfungsmythos aus Afrika

Der Stamm der Zulu beginnt seine Entstehungsgeschichte in Dunkelheit. Unter der Erde träumt „der Große“ einen langen, tiefen Traum über die Welt, so wie die Dinge sein würden. Also kommt er hervor, bringt Sonne und Mond am Himmel an und schafft so Tag und Nacht. Er erschafft aus Lehm die Bantu, die ersten Menschen, setzt sie in die Landesmitte und gibt ihnen Tiere zum Leben.

Daraufhin erschafft er weiße Menschen, die er in die Nähe des Meeres setzt. Zu erschöpft, um den Menschen selbst eine Botschaft zu überbringen, beauftragt er ein Chamäleon und eine Echse, die den Menschen eröffnen sollen, dass sie, nachdem sie gestorben sind, gleich dem Mond, immer wieder zurückkommen.

Das Chamäleon fällt auf dem Weg zurück und die Echse erreicht zuerst die Menschen. Sie bringt jedoch die Botschaft des Großen durcheinander und prophezeit einen Tod ohne Wiederkehr.

Da eine Botschaft des Großen, einmal ausgesprochen, nicht zurückgenommen werden kann, kränkeln die Menschen und sterben, wonach sie wieder zu Lehm zerfallen. Das Chamäleon, das zu spät mit der richtigen Botschaft eintrifft, findet die verwirrten Gedanken der Echse. Sie hat die Idee des immerwährenden Todes in die Welt gebracht.

Schöpfungsmythen aus Japan (Shinto Legenden)

Am Anfang waren der Himmel und das Meer, welches ohne jede Bewegung war. Der hohe Herrscher des Himmels erschafft Izanagi und Izanami als männlichen und weiblichen Gott, welche mit einem diamantbesetzten Speer Land erschaffen sollen, auf dass es Leben und Tod, Freude und Kummer geben kann.

Die beiden Götter stellen sich auf die Brücke des Himmels und bewegen mit dem Speer das bewegungslose Meer. Als sich das Meer dreht, ziehen sie den Speer heraus, von dem sieben Wassertropfen fallen, die zu den sieben schwimmenden Inseln Japans werden.

Um die Welt zu vervollständigen, zeugen die Götter ihre Kinder Sonne und Mond, Berge, Sturm und Feuer. Aus dem Spiel der Kinder wird die Welt fruchtbar und die Götter erfreuen sich an ihrer Schönheit.

Schöpfungsgeschichten aus Indonesien (Borneo)

Schöpfungsmythen der Indianer

Der Stamm der Dajaken überliefert am Anfang aller Zeit Dunkelheit, die sich endlos von Ewigkeit zu Ewigkeit erstreckt. Eine kleine Spinne, die darin schwebt, sammelt Dunkelheit in ihren Beinen, um den daraus gesponnenen Silberfaden an den beiden Enden der Ewigkeiten zu befestigen. Dann webt sie ein glitzerndes Spinnennetz.

In diesem bleibt ein staubkorngroßes Stück einer roten Koralle hängen, die im Laufe der Zeit wächst, bis sie die Größe der Welt angenommen hat. Auf diese Welt fällt eine Schnecke aus der Dunkelheit; aus deren Schleimspur entsteht das Erdreich. Auf diese Erde fällt ein junger Baum, der – über die Verbreitung seiner Samen – die Welt mit Wäldern bedeckt.

In einem dieser Wälder fällt wiederum ein Krebs aus der Dunkelheit, der das Erdreich verschiebt und so Hügel, Berge und Täler schafft. Er lässt aus herabfallendem Regen Flüsse und Sümpfe entstehen, aus denen weitere Pflanzen wachsen. Zwei Lebewesen kamen aus der Dunkelheit, männlich und weiblich, mit veränderlichen Körpern ähnlich dem Rauch im Wind.

Sie schnitzen zwei Köpfe aus Holz und blasen ihren Atem ein, um sie zum Leben zu erwecken. Dann kehren sie zurück in die Dunkelheit. Die Kinder der Köpfe hatten Hälse, die nächste Generation Körper, welche die Götter Amei Awi und Burung Une gebaren. Diese wiederum gebaren acht Kinder: Sonne, Mond und sechs Menschen, welche sich am Überfluss der Eltern labten, bis Amei Awi deren Faulheit zürnt und ihnen am Fuße eines wolkenhohen Berges eine Aufgabe stellt: An der Art, wie sie hinaufklettern, bestimmt sich das Schicksal ihrer Kinder.

Die ersten beiden Menschen bleiben untätig am Fuße des Berges stehen, worauf deren Kinder zu den ersten Herrschern und Königen der Welt werden.

Die übrigen vier Menschen steigen auf, zwei von ihnen rasten nach der Hälfte des Anstiegs und aus ihren Kindern entstehen die reichen Landbesitzer der Welt. Die letzten beiden Menschen gelangen zum Gipfel, deren Kinder die Armen der Welt werden, die ihr Leben lang schwer arbeiten müssen.

Zwischenzeitlich erschaffen Amei Awi und Burung Une Tiere, um den Menschen das Überleben zu sichern. Nachdem sich die Menschen über die ganze Welt ausgebreitet haben, sehen die beiden Götter ihr Werk als vollendet an und ziehen sich unter die Erde zurück, in das Herz der Welt. Von dort aus sprechen sie zu den Wurzeln der Pflanzen, damit die Menschen eine reiche Ernte erhalten.

Schöpfungsgeschichte aus China (taoist. Tradition)

Auch hier beginnt der Anfang im Nichts, in der Dunkelheit, in der ein Ei treibt, in welchem sich Pan Ku selbst schafft und dadurch wiederum das Ei. 18.000 Jahre später zerbricht das Ei mit einem Lichtstrahl in zwei Teile. Die obere Hälfte wird zum Himmel, die untere Hälfte bildet die Erde. Pan Ku stellt sich zwischen Himmel und Erde und stützt so beide Hälften Tausende von Jahren, bis sie ihren Platz finden. Pan Ku verwendet dabei all seine Kraft, wird alt und stirbt, wobei sein Tod zur Geburt der Welt wird.

Sein rechtes Auge wird zur Sonne, das Linke zum Mond, seine weißen Barthaare verwandeln sich in glitzernde Sterne. Der Schädel wird zu den Bergen, Zähne zu Fels und Stein, sein Fleisch und Knochen werden zu Erdreich. Wälder und Felder entstehen aus seinen Haaren. Aus seinen Adern werden Wege und Straßen.

Aus Pan Kus Atem entstehen die Winde, sein Schweiß wird zu Regen und seine Stimme wird zum Donnergrollen.

Auch die Flöhe, die auf seinem Körper lebten, wurden verwandelt – in Menschen und Tiere, die daraufhin die Welt bevölkern. Aus dem Leben und der Stärke Pan Kus wurde so die Welt und alles, was auf ihr existiert.

Polynesien: Entstehung der Welt

Schöpfungsmythos aus Polinesien zur Entstehung der Welt

Am Anfang existiert Taaora, welcher das gesamte Universum ausfüllt. Er fühlt sich jedoch so einsam, dass er in die Einsamkeit seine Stimme ruft und aus dem zurückkommenden Echo ein Lied macht. Anfangs ist es ein leises, flüsterndes Lied, aus welchem er das Meer und den Wind singt; die Töne werden zu den Fischen, die das Meer beleben.

Dann ändert Taaora sein Lied, um Land zu erschaffen. Er singt weiße Sandstrände, er singt Steine in den Sand und Berge über die Steine.

Daraufhin wird sein Gesang lauter und er erschafft damit Himmel, Sonne, Mond und Sterne. Als der Sand sich zusammenpresst treten fruchtbare, erdige Inseln hervor, auf die sein Lied als Samen fällt. Mithilfe des Regens entstehen so alle Pflanzen.

Taaora singt Insekten, Vögel und Tiere auf die Erde. Als er sieht, dass die Welt vollendet ist, singt er die Menschen aus sich selbst heraus und sich selbst in sie hinein. So wurden die Menschen erfüllt von Licht und dem Lied der Welt.

Schöpfungsgeschichte aus Indien (Brihatkatha Upanischad)

Diese Entstehungsgeschichte beginnt ohne Zeit und Ort, ohne gestern und heute. Es gibt nur „das Eine“, welches die tiefen Gedanken der Ewigkeit denkt. Die Gedanken werden zu den Worten „Ich bin! Es gibt nichts anderes.“

Mit dem Aussprechen dieser Worte wird dem Einen bewusst, dass es völlig alleine ist und damit überkommen ihn unerträgliche Einsamkeit und Traurigkeit. Das Eine teilt sich deswegen in zwei Teile, aus denen jeweils Dunkelheit und Licht, Meer und Himmel, Berg und Tal entstehen, sowie die ersten Menschen: Mann und Frau. Als sie sich sehen, fühlen sie anstelle der Einsamkeit die Gemeinsamkeit der Liebe, aus der Kinder entstehen, von denen alle Menschen der Welt abstammen.

Die Frau zweifelt an der Richtigkeit des Geschehens, daran, dass aus ihnen, die einmal das Eine waren, so viele werden konnten. Sie versucht sich in der Gestalt einer Kuh zu verstecken, doch der Mann findet sie. Er verwandelt sich in einen Bullen und von diesen beiden stammt alles Vieh ab. Die Frau versucht daraufhin in Gestalt einer Stute, eines Schafes, Tigerin, Eule und Ameise zu fliehen, doch immer wird sie vom Mann gefunden. So werden alle Tiere geschaffen. Auf diese Weise kam alles aus dem Einen und das Eine wurde zu allem.

Schöpfungsgeschichte der Indianer (Westl./Südwestl. USA)

Schöpfungsmythos der Indianer

Auch die Ureinwohner dieses Landstriches beginnen die Erzählung ihrer Entstehungsgeschichte mit einer Darstellung von undurchdringlicher, schwarzer und stiller Dunkelheit, in die ein leiser Ton erklang. Der Ton wurde lauter – das Heulen eines Kojoten, der wiederum um sein Heulen herum entstand, um so materialisiert in die Dunkelheit zu blinzeln.

Er stellt fest in der Dunkelheit nicht laufen zu können, erschafft mit seinem Atem Wind in Form einer Muschel, die er von sich schleudert und so den Himmel kreiert. Durch sein Heulen schafft er Farben, eine Scheibe aus brennendem Gold, die Sonne sowie eine Scheibe aus schimmerndem Silber, den Mond. Er trennt Tag und Nacht und lässt sein hartes Knurren zu Felsen, Hügeln und Bergen werden. Sein leiseres Knurren wird zu Wäldern und grasbewachsenen Prärien.

Mit seinem Jaulen erschafft er Tiere aller Art, um mit ihnen laufen zu können. Doch auch das genügt ihm nicht, er erschafft aus Uferlehm und seinem Atem die ersten Menschen, die er mit dem Auftrag sich zu ernähren, Tiere zu jagen und die neue Welt mit Kindern zu bevölkern versieht.

Er erzählt ihnen, dass sie ihn nie fangen, aber nachts hören können, wenn er voll Freude über die von ihm erschaffene Welt zum Mond heult.

Susanne Guckenberger