Philosophischer Überblick: Was ist das Gute und das Böse?

Seit Urzeiten stellen sich Menschen die Frage, was das Gute und das Böse in der Welt wirklich ist. In verschiedenen Religionen und der Philosophie wurde versucht, eine Antwort auf diese große Frage zu finden. In diesem Artikel will ich Ihnen verschiedene Konzepte über „Gut“ und „Böse“ vorstellen, die Ihnen helfen sollen, sich eine eigene Meinung über dieses Thema zu bilden.

„Gut und Böse“ sind von Menschen gemachte Kategorien

Fakt ist, dass sowohl das „Gute“ als auch „das Böse“ von Menschen gemachte Kategorien sind. Man könnte sie auch als „Erfindungen“ des Menschen bezeichnen, die in der Natur – als reale Objekte oder ontologische Realitäten – nicht vorkommen.

„Gut“ oder „Böse“ sind also „nur“ Konzepte, die – je nach Ansicht und Weltbild – sehr unterschiedlich beschrieben werden. Konzepte sind sie deshalb, da sie immer eine Bewertung einer Handlung / Sache, aber nicht die Sache selbst sind.

Gut und Böse in der Philosophie

Wenn man bedenkt, wie unterschiedlich Weltbilder sein können, ist es auch wenig verwunderlich, dass sich die Menschen bislang noch auf kein Konzept zu diesen Kategorien einigen konnten, welches „für alle“ Gültigkeit hat.

Da es verschiedene Perspektiven zu diesen Begriffen gibt, ist es sehr interessant, welche Ideen und Beschreibungen bislang dabei herausgekommen sind. Sehen wir uns in der Kultur, Religion und Philosophie um, wie dort jeweils versucht wurde, „Gut und Böse“ zu charakterisieren.

Theorien des Guten im Überblick

Das Gute in der Mystik

Seit der Antike bis in die heutigen Tage ist in der metaphysischen Ideenlehre die Idee des Guten die höchste Instanz. In der höchsten Instanz sieht man die höchste Idee, aus der alle gewöhnlichen Ideen hervorgehen.

Die Idee des Guten, so nimmt man an, verleiht den Ideen Sinn und Wesen. Die Idee des Guten gewährt den Dingen Erkennbarkeit, dem Erkennenden seine Erkenntnisfähigkeit, allem Seienden sein Sein und allem seinen Nutzen.

Das ethisch, praktisch und ontologisch Gute

In einigen Positionen der antiken Philosophie ist „gut“ ein ethischer Aspekt, der sich auf das Sein an sich bezieht. Daneben wird der Begriff „gut“ auch für „harmonisch strukturiert“ oder „zweckmäßig beschaffen“ verwendet.

Es gibt auch heute Theorien, die das Sein an sich als gut bezeichnen, und welche, für die alles Seiende insofern gut ist, weil das Seiende Gottes Willen entspricht. In diesem Sinne ist „gut“ keine Eigenschaft von bestimmten Handlungen, sondern eine ontologische Kategorie.

Das moralisch Gute

Manche, besonders moderne Moralphilosophen meinen, dass es keinen allgemeinen Konsens darüber gibt, wie der Begriff „gut“ zu verwenden ist. Einige bezeichnen diejenigen Güter oder Handlungen als „gut“, welche dem Wesen des Menschen entsprechen – leiblich oder geistig. Andere meinen, es hänge ganz vom Zweck und vom Standpunkt ab, ob etwas als gut oder schlecht beurteilt werden kann.

Das Gute in der Religion

In Religionen nimmt das absolut Gute als höchste Instanz eine überweltliche Position ein. An ihm und seinen Gesetzen müssen sich alle Dinge und Wesen, bis hin zum Menschen und seinen Werken, messen lassen.

Das Gute in der Moderne

Das Gute im Geist der Moderne ist ein Mix aus historischen Anschauungen unter dem Primat des rationalen Denkens. Heute bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch das Gute sowohl moralisch gut, als auch qualitativ hochwertig.

Gesichter des Bösen im Umfeld des Guten

Das Böse in Kulturen und Mythen

In verschiedenen Kulturen gibt es verschiedene Personifikationen des Bösen: den germanischen Loki, den christlichen Teufel, bestimmte Arten arabischer Dschinns oder Dämonen im Hinduismus. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie aus freiem bösen Willen Unglück und Verderben bringen. Immanuel Kant sagt, das Böse sei dem menschlichen Wesen innewohnend.

Das Böse bei Zarathustra

Vor etwa drei Jahrtausenden verbreitete sich von Persien ausgehend die Lehre des Zarathustra von der Schöpfung der Welt und des Menschen. Die Schöpfung geschah, als die Finsternis (das Böse) das Licht angriff. Im Kampf zwischen Licht und Finsternis geriet Lichtsubstanz in die Dunkelheit und vermischte sich mit ihr.

Zum endgültigen Sieg des Lichts muss diese Ursubstanz vom Dunkel getrennt und in die Lichtwelt zurückgeführt werden. Der Einfluss dieser Lehre ist in der ganzen antiken Welt spürbar.

Gut und Böse im Daoismus

Die von Laotse verfasste Urschrift „Tao te king“, kann als die Begründer des Daoismus, Chinas authentische Religion angesehen werden. Seine historisch gesicherten Ursprünge liegen im 4. Jahrhundert v. Chr.

Im Daoismus ist die höchste Wirklichkeit ein alles durchdringendes Prinzip, das höchste Mysterium. Es ist die uranfängliche Einheit, das kosmische Gesetz, das Absolute. Das Wirken des Dao bringt die Schöpfung hervor, indem es die Zweiheit, das Yin und das Yang, Licht und Schatten, Gut und Böse hervorbringt, aus deren Wandlungen, Bewegungen und Wechselspielen die Welt hervorgeht. Gut und Böse bedingen sich gegenseitig – das Eine bringt das Andere hervor.

Das Dao selbst ist kein omnipotentes Wesen, sondern der Ursprung und die Vereinigung der Gegensätze und somit undefinierbar.

Das Böse im Judentum

Im Judentum gibt es das Böse, das als eigenständige Kraft gegen die göttliche Schöpfung kämpft, nicht, weil jedes Geschöpf Gottes Geschöpf ist. Der Mensch allerdings kann, nachdem er schuldfrei geboren wurde, böse werden. Seit dem Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis hat er die freie Entscheidung, sich für oder gegen Gott bzw. für das Gute oder das Böse zu entscheiden.

Christentum und das Böse

Christliche Traditionen sprechen von der Erbsünde. Das ist der Versuch eine Antwort auf die Frage zu geben, warum es Böses in der Welt gibt. Es betrifft auch jenes „Böse“ das nicht von Menschen verursacht wird. Nach Auffassung einiger Philosophen und Theologen ist Gott selbst als metaphysische Ursache für das „Böse“ verantwortlich.

Im dogmatischen System der christlichen Lehre wird das Böse immer Gott untergeordnet (das Böse als gefallener Engel, der nur mit Gottes Zulassung agieren könne). Das Böse schlich sich in Gestalt einer Schlange in den Garten Eden ein. Die Schlange wird aber ausdrücklich als Geschöpf Gottes behandelt. Das lässt den Gedanken aufkommen, dass Gott die Übertretung selbst provoziert hat.

Religionswissenschaftlich lassen sich zwei Formen des Bösen unterscheiden: einerseits Böses in der menschlichen Sphäre, andererseits geistige Mächte oder Kräfte, die in schädlicher Weise wirken oder denen in ethischer Hinsicht schlechte Einflüsse zu eigen sind – das „numinose Böse“.

Epiktet und Moral

Im Encheiridion (Handbüchlein der Moral) schreibt Epiktet (gest. 125), dass das Schlechte bzw. das Böse im Sein weder eine Erstursache haben könne noch, dass es das Ziel der Weltordnung sei. Das Böse könne jedoch als solches angestrebt werden. Über den Willen zum Bösen, der ja einen Ursprung haben muss, sagt er allerdings nichts.

Manichäus

Der von Manichäus (216-276) ausgehende Manichäismus als religiöse Bewegung knüpft an die Lehre des Zarathustra an. Manichäus verbreitet die Lehre vom „Vater der Größe“ und seinen Dienern, die im Gegensatz zum „Vater der Finsternis“ stehen. Voraussetzung für Erlösung war im Manichäismus Erkenntnis (Gnosis), weil durch sie die Wahrheit nicht verfälscht werden könne.

Manichäer sahen die Entwicklung der Welt in drei Stufen:

1. Die Zeit des Anfangs, in der die beiden Prinzipien „Licht und Finsternis“ getrennt waren.
2. Die Zeit der Vermischung.
3. Die Zeit, in welcher der Anfangszustand wieder hergestellt ist.

Der Mensch, der in der finsteren, materiellen Welt einen Ort des Lichtes darstellt, soll in der Zeit der Vermischung zur Trennung der beiden Prinzipien beitragen, damit seine Licht-Seele sich mit dem Göttlichen, dem Ursprung des Lichts, vereinen kann und er nicht mehr vom Bösen beherrscht wird. Anteile des Manichäismus wirken bis in unsere Zeit hinein.

Augustinus

Der Kirchenvater und Philosoph Augustinus (354-430) war ursprünglich Manichäer. Er gibt der Erbsünde die ursprüngliche Schuld am Bösen und am Leiden in der Welt. Demzufolge kam das Böse aus dem freien Willen des Menschen in die Welt.

Das Böse im Mittelalter

Fast durchweg wird im Mittelalter das Böse als substanzlos charakterisiert. Es ist ein bloßer Mangel des Guten, vergleichbar der mangelnden Sehfähigkeit oder der Blindheit.

Spinoza und das Böse

Der Philosoph Spinoza (1632-1677) kennzeichnet das Böse als individuelle Kategorie: Jenes, das die Selbstbehauptung des Einzelnen hemmt, nennt der betreffende „böse“, umgekehrt nennt er „gut“, was der Selbstbehauptung dient.

Nietzsche: Umwertung der Moral

Der schärfste Kritiker der christlichen Moral, Nietzsche (1844-1900), erklärt das Böse zu einem Konstrukt christlicher Sklavenmoral, das die ursprüngliche Unterscheidung von gut und schlecht in gut und böse umgekehrt habe.

Jaspers: Verhältnis zwischen Gut und Böse

Der Psychiater und Philosoph Jaspers (1883-1969) stellt für das Verhältnis zwischen Gut und Böse drei Stufen vor, auf denen der Mensch Alternativen hat und damit zur Entscheidung gefordert ist.

1. Moralisches Verhältnis – es steht zwischen Pflicht und Neigung. Böse ist, sich von den unmittelbaren Antrieben leiten zu lassen. Gut ist, den Willen zum Antrieb zu haben, indem die sittlichen Gesetze beachtet werden. Die Auswahl des Antriebs ist somit entscheidend, ob der handelnde Mensch gut oder böse ist. Hier ist Triebhaftigkeit jeder Art die Ursache des Bösen.

2. Ethisches Verhältnis. Das Verhältnis wird von der Wahrhaftigkeit der Motive bestimmt. In diesem Fall ist dem Handelnden seine Wahlfreiheit entzogen. Böse ist einfach nur Erkenntnisschwäche, die der Neigung zur Oberflächlichkeit nachgibt. Die sich daraus ergebende Alternativlosigkeit wird instrumentalisiert, um sich den Konflikt mit der wahren Realität zu ersparen. Hier ist ein Mangel das Kriterium für das Böse: der Mangel zum Guten, zur Wahrhaftigkeit, zum Willen der wahren Realität ins Auge zu schauen.

3. Metaphysisches Verhältnis. Zum Sein drängende Liebe (Aufbau) und zum Nichtsein drängender Hass (Zerstörung) bestimmen hier das Verhältnis zwischen Gut und Böse. Hier ist das Vorhandensein des Willens zum Bösen das Kriterium.

Wo befinden wir uns?

In einigen Mythen verläuft die Entwicklung der Gesellschaft in Zyklen zwischen Zeitaltern des Guten (Goldene Zeitalter) und Zeitaltern des Bösen (Dunkle Zeitalter). Das deckt sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Wesen der Evolution. Über die Frage, in welchem weltgeschichtlichen Zeitalter wir uns heute befinden, mag jeder Zeitgenosse selber entscheiden.

Die Frage, die uns immer noch bewegt …

Werden manche Menschen bereits als böse geboren? Wer Menschen liebt, neigt zu der Annahme, dass keiner als böse geboren wird. Zweifellos ist ein neugeborenes Kind weder gut noch böse. Durch geschickte Erziehung kann daraus ein guter Mensch werden, andernfalls wird er vielleicht ein böser.

Zunächst hat ein Kind kein Bewusstsein und keinen Willen. Es ist zufrieden, wenn seine Grundbedürfnisse erfüllt werden. Erst, wenn es anfängt, die Reaktionen aus der Umwelt auf seine Äußerungen zu registrieren, erwachen der Wille zum Angenehmen und der zur Ablehnung des Unangenehmen.

Allmählich baut das Kind mit Geschick ein System zur Durchsetzung seines Willens auf. Fallen seine Erzieher darauf herein, wird daraus ein verwöhntes Kind und später wahrscheinlich ein unangenehmer oder labiler Erwachsener. So ein fehlgeleiteter Erwachsener muss aber deshalb nicht erzböse sein. Ein erzböser Mensch würde sehr wahrscheinlich seine gute Erziehung zur Erreichung seiner bösen Absichten nutzen.

Für die Vermutung, dass es erzböse Menschen geben kann, spricht Nero, der römische Kaiser. Sein Erzieher war Seneca, der weiseste Mann seiner Zeit und das beste Vorbild für Güte und Moral. Beste Bildung und kaiserliche Macht gaben seinem Zögling einen grenzenlosen Handlungsspielraum zum Ausleben seiner Erzbosheit, der dann schließlich auch sein Erzieher zum Opfer fiel, indem ihn Nero zum Selbstmord zwang.  

Erwiesenermaßen gibt es auch nekrophil veranlagte Menschen, die den Todeskult bis zur Selbstvernichtung pflegen. Gewiss, das sind seltene Ausnahmen. Sie rütteln aber an der These, dass alle Menschen von Natur aus gut sind. Zweifellos aber will die Mehrheit, auch der große Anteil der weniger Bösen, unbedingt leben.

Die Natur selber zeigt: Von Anfang an kämpfen Evolution (Aufbau) und Involution (Abbau) gegeneinander. Aus der dynamisch ausgewogenen Gewichtung dieser Gegensätze am Schöpfungsanfang entstand unsere Welt. Auch der Mensch besteht in seinem Wesenskern aus diesen Gegensätzen.

Offensichtlich befinden sich nicht bei jedem Menschen die Gegensätze in einem gesunden Verhältnis zueinander. Vielleicht haben gravierende Erlebnisse das anfänglich natürliche Verhältnis verschoben. Wie dem auch sei, Gutes und Böses oder besser gesagt Gutes und Schlechtes gehören von Natur aus zusammen, sie sind die Urkräfte des gegenständlichen Seins und des Lebens.

Diese Tatsache bürdet uns eine große Verantwortung auf: Wir haben im eigenen Interesse und auch im Interesse der Allgemeinheit, heute sogar der globalen, dafür zu sorgen, dass das Böse bzw. das Schlechte nicht überhandnimmt, sondern weiterhin als dynamische Kraft dem Leben dient.

Bei diesem Thema wird in der Regel auf kommende Generationen hingewiesen. Hat man auch jetzt, in seinem eigenen kurzen Leben etwas davon? Oder wäre es nicht besser, als schlechter Mensch jeden Vorteil für das eigene gute Leben zu nutzen, anstatt als guter Mensch auf manche kurzfristigen Vorteile zu verzichten?

Verzichten wäre wahrscheinlich besser, denn dass unser Leben nach ein paar Jährchen, wirklich vorbei ist, daran kann aufgrund des heutigen Wissens über das Wesen der Natur und des Seins ernsthaft gezweifelt werden. Denn bei genauem Hinsehen findet man Anzeichen, die besagen, dass die Evolution unseres Daseins mit dem Ende unseres Erdenlebens nicht wirklich beendet ist.

Heinz Altmann