Mythos Atlantis: Ein versunkener „Kontinent“ in Südamerika?

Atlantis hat schon Jahrhunderte lang die Menschheit bewegt und bis heute arbeiten viele Wissenschaftler daran das Rätsel zu lösen. Wie allgemeinen bekannt ist, handelt es sich bei Atlantis um eine in Platons Werk eingebettete Geschichte, die wie alle Mythen Platons, eine aufgestellte Doctrine anschaulich darstellen soll. Nach einem gescheiterten Angriff auf Athen sei Atlantis schließlich um 9600 v. Chr. in Folge einer Naturkatastrophe innerhalb „eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht“ untergegangen.

Der Hintergrund dieser Geschichte ist umstritten. Während Althistoriker und Philologen überwiegend von einer Erfindung Platons ausgehen, die durch zeitgenössische Vorbilder inspiriert wurde, vermuten manche Autoren einen realen Hintergrund der Geschichte und unternahmen unzählige Versuche, Atlantis zu lokalisieren .

Bereits in der Antike wurde eine mögliche Existenz von Atlantis diskutiert. Während Autoren wie Plinius bestritten, dass es das fragliche Reich früher gegeben habe, hielten andere, beispielsweise Krantor, Poseidonios oder Strabon, seine Existenz für möglich.

Auch Athanasius Kircher forschte nach Atlantis und zeichnet seine berühmte “Fantasiekarte” von Atlantis: Mundus Subterraneus (1665). Diese Karte wird von vielen Wissenschaftlern nur milde belächelt.

Doch zeigt die Karte deutlich zwischen Afrika und Asien einen Kontinent, der unzweifelhaft Südamerika darstellt. Hat Kircher einfach die Ideen und die ersten Landkarten der Eroberer Südamerikas in seinem Werk zusammen gefasst?

Detaillierte Landkarten wurden erst von Jesuitenpater Samuel Fritz 1707, Pedro Vicente Maldonado 1750, Cruz Cano y Olmedilla 1775 veröffentlicht. Tatsächlich war Kircher seiner Zeit auf vielen Gebieten voraus, was insbesondere an seinem Einfluss auf die Bakteriologie, Medizin, Akustik, Astronomie, Mechanik, Farbenlehre abzulesen ist. So erkannte er als erster Mensch den Einfluss von “kleinen Wesen” auf die Verbreitung der Pest und schuf erste Regeln zu ihrer erfolgreichen Bekämpfung. Galt das auch beim Aufspüren von Atlantis?

Woher könnte der Mythos Atlantis stammen?

In Faktor X – Folge 13: Mythos Atlantis (Großbritannien, 1999) suchen Archäologen und Historiker in der Türkei und im Mittelmeer-Raum nach Spuren. Dabei kommen die Forscher auch auf die Karten von Athanasius Kircher zu sprechen. War Atlantis eine Stadt in Südamerika, von der aus Handelsbeziehungen bis in das antike Griechenland und das Reich der Pharaonen unterhalten wurden?

Atlantis in PeruTiahuanaco mit seiner weitgehend im Dunkeln liegenden Vergangenheit könnte dafür durchaus in Frage kommen, spekulieren einige Wissenschaftler. Der Film stellt die Fakten durchaus plausibel dar, doch bleibt die Frage auch im Film unbeantwortet stehen: wie kann auf 3500 m über dem Meer eine Flutwelle eine Hochkultur in einem Tag und einer Nacht auslöschen?

Nun, dass das prinzipiell möglich ist, zeigt die jüngere Geschichte in Peru ca. 1500 km nördlich von Tiahuanaco. Hier in Yungay lebten Anfang 1970 noch ca. 20 000 Einwohner in friedfertiger Einigkeit auf über 3000 m.ü.M in einem Teil der Anden, der wegen seiner Schönheit “die peruanische Schweiz” genannt wird. Am 31. Mai 1970 wurde jedoch die gesamte Bevölkerung durch eine Flutwelle ausgelöscht. Wie war das möglich?

Wenige Kilometer oberhalb liegt in einem Tal am Abhang des Berges Huascarán ein kleiner idyllischer Bergsee. Dieser wurde, ausgelöst durch ein von einem Erdbeben abgelösten Gletscher-Teilstück zum überschwappen gebracht, so dass die Wassermassen zusammen mit Schlamm und Geröll als Flutwelle die Stadt Yungay in wenigen Augenblicken begruben.

Auch im Falle Tiahuanacos gibt es einen See in unmittelbarer Reichweite, den Titicaca See (3,750 m.ü.M), doch dieser befindet sich so etwa auf gleicher Höhe wie Tiahuanaco und was noch viel entscheidender ist, die Stadt Tiahuanaco, die weit mehr als 20 000 Bewohner zählte, ist nach übereinstimmender Meinung der Wissenschaftler erst 600 v. Chr. zu seiner Blüte gelangt, während Plato den Untergang von Atlantis auf 9600 v. Chr. datierte.

Selbst wenn das genaue Datum des Unterganges völlig aus der Luft gegriffen sein sollte, ist immer noch zu bedenken, dass die überlieferte Geschichte, die Plato nur auf schrieb, weit vor seiner Zeit geschehen sein musste.

Der Untergang muss also weit vor Plato erfolgt sein und nicht nur 100 bis 150 Jahren wie es bei dem Untergang von Tiahuanaco zu träfe. Meine Theorie hingegen gesteht Tiahuanaco durchaus eine wichtige Rolle bei der Übermittlung der Nachricht des Unterganges von Atlantis über Ägypten nach Griechenland zu, doch liegt das Ereignis des Unterganges von Atlantis sicher 1000 bis 2000 Jahre vor Platos Zeit und vermutlich 3700 Meter niedriger als Tiahuanaco, also fast auf Meeresniveau.

Viel spricht dafür, dass die gesuchte Region in Peru, nur einige Kilometer von der Hauptstadt Lima entfernt, zu finden ist. Hier wurde erst vor wenigen Jahren in der Wüstenregion der Pazifikküste die älteste Kultur Südamerikas entdeckt: Caral.

Zu jener Zeit, wir reden hier vor über 3000 v. Chr., lernten sechs Gesellschaften auf der ganzen Welt ihre Lebensweise zu ändern und die Bedingungen zu schaffen, die eine Zivilisation, einen Staat und Städtebildung ermöglichten: Mesopotamien, Ägypten, Indien, Peru, China und Mesoamerika.

Dieser Prozess geschah in Peru in totaler Abgeschiedenheit, denn Caral war Mesoamerika, dem örtlich am nächsten liegenden zivilisatorischen Brennpunkt des Neuen Kontinents, um mindestens 1500 Jahre voraus. Dies könnte die altgriechische Bedeutung Atlantìs nesos „Insel Atlantis“ erklären.

Die heilige Stadt Caral liegt im Supetal, in der Provinz von Barranca, 182 km nördlich von Lima, im nördlichen Teil des zentralen Peru. Caral erstreckt sich über eine Fläche von 66 Hektar, wobei sich eine Kernzone von einer Randzone deutlich unterscheiden lässt. Die technischen Fortschritte in der Landwirtschaft und im Fischereibereich zeigten sich am eindrucksvollsten in der Produktion und der Verarbeitung der Baumwolle dieses Gebietes, speziell im Supe-Tal, da durch ihre Verarbeitung zu Kleidung und Fischernetzen eine Spezialisierung des Handwerks erforderlich machte.

Dieser Austausch zwischen den landwirtschaftlichen Siedlungen und den Fischerdörfern vervollständigte das Warenangebot beiderseits und begünstigte die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region. Im nördlichen Teil des Zentralgebiets bildete sich ein zentraler Staat, dem es gelang, große Mengen an Arbeitskräfte für monumentale Konstruktionen einzusetzen.

Unter diesen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen entwickelten sich die Wissenschaften, neue Technologien und die Künste. Kenntnisse in Astronomie, Geometrie, Arithmetik, Biologie fanden ihre Anwendung im Entwickeln eines Kalenders, der Voraussage des Klimas, der Bearbeitung der landwirtschaftlich genutzten Böden zur Verbesserung des Pflanzenanbaus, in der Medizin, der Konstruktion von öffentlichen Bauten und in der öffentlichen Verwaltung.

Das Szenario der Katastrophe in dieser Region ist durchaus real, wie wir vom letzten starken Erdbeben in Peru wissen: Ica wurde fast vollständig zerstört und eine Flutwellenwarnung wurde auch lange Zeit nach dem Erdbeben noch verbreitet. Die Flutwellen kamen dann auch, doch glücklicherweise in nur sehr gedämpfter Form, so dass nur Callao und Küsten nahe Regionen überflutet wurden.

Deshalb ist das Szenario mit einem Erdbeben (am Tag) mit nachfolgendem Tsunami (in der Nacht) über aus realistisch für dieses Gebiet. Ein Beleg für ein gewaltsames Ende der Kultur im Supe-Tal könnte die relative zeitliche Ferne der nachfolgen Hochkulturen sein. Doch schließlich wiederholte sich das Modell in verschiedensten Andenregionen mit den Kulturen: Chavín, Moche, Lima, Nasca, Tiahuanaco, Wari, Chincha, Chimú und endlich die Inkas, die letzte prehispanische Zivilisation in Peru, 4400 Jahre nach Caral.

Jürgen Schulberger