Narren: Der Narr in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten

Die Rolle des Narren spielt in der Geschichte in vielen Kulturen eine große Rolle. Von der Antike, über das Mittelalter bis in die Moderne haben Narren ihren Platz in der Religion und Gesellschaft eingenommen.

Narr Narren Geschichte KulturenEine kleine Geschichte über "Heilige Narren"

In diesem Artikel werden "Heilige Narren" unterschiedlicher Völker und Weltanschauungen beschrieben und wie sie es schafften, sich über Tabus, Vorschriften und moralische Normen hinwegzusetzen – sie zu transzendieren.

Im weiteren finden Sie Geschichten zu den jüdischen und christlichen Narren, Narren in der Antike, indianische Clowns und den Narren in der Moderne.

Jüdische Narren in der Geschichte

Im Talmud steht eine Anekdote über zwei Possenreißer. Rabbi Beroka besuchte den Marktplatz seiner Stadt in Babylonien. Da trat der Prophet Elija auf ihn zu, und der Rabbi fragte ihn: „Sind jetzt auf diesem Marktplatz irgendwelche Kinder der künftigen Welt (d. h. Anwärter auf die ewige Seligkeit)?

Während er fragte, gingen zwei Brüder vorüber, und der Prophet Elija sagte: „Diese beiden.“ Der Rabbi ging und fragte sie: „Was macht ihr?“ Sie sagten: „Wir sind Possenreißer. Ist jemand traurig, so suchen wir ihn aufzuheitern, und sehen wir Leute streiten, so suchen wir Frieden zwischen ihnen zu stiften.

Narren im Judentum Juden jüdischEs ist für den Rabbi ungewöhnlich, dass ihm Leute vorgestellt werden, die in keiner Weise die Normen erfüllen, die nicht die üblichen Zeichen der Frömmigkeit aufweisen. Sind vielleicht die Sonderlinge, die Außen-seiter, die Ver-rückten, die zwischen den Stühlen sitzen, die wahren Verkünder der Botschaft?

Der Prophet Jesaja trat bei seiner Predigt drei Jahre lang nackt auf (AT, Jes. 20, 1-5) und ging barfuß. Stellen wir uns diese Predigt einmal bildlich vor und übertragen sie in unseren gesellschaftlichen und religiösen Kontext – es wäre damals wie heute ein Skandal! Mit seiner Nacktheit suchte Jesaja die falsche Bündnispolitik seines Volkes zu verändern, er wollte mit seinem Körper ein Signal geben.

Viele wenden sich verächtlich lächelnd von solchen ab, werfen ihnen Schwachsinn oder Unsachlichkeit vor, erschrecken wohlig vor ihrer Emotionalität und finden ein Alibi, sie nicht zu beachten. Ezechiel machte ganz närrische Dinge. Versuchen wir eine kleine Vorstellungsübung:

Ein Mann sitzt auf dem Marktplatz. Er nimmt ein scharfes langes Schwert und schneidet sich die Haare und den Bart. Die Kinder beginnen zu lachen, die Erwachsenen greifen sich an den Kopf. Denn jetzt zieht er eine Waage heraus und trennt die Haare in drei Teile. Dann entzündet er ein kleines Feuer und verbrennt das erste Häufchen. Auf das zweite Häufchen schlägt er wild mit dem Schwert ein. Das restliche bindet er sich in einen Zipfel seines Gewandes ein. Danach blickt er auf und redet vom Strafgericht Gottes (Ez. 5, 12-13).

Narren im Christentum

Diese wortlosen Reden hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. In einer besonderen Weise wurden sie aufgenommen von einem Archetyp, den wir heutzutage fast ganz aus unserem Bewusstsein verdrängt haben: den Heiligen Narren …

Die Heiligen Narren reden vor allem durch Handlungen. Meistens leben sie in ärmlichen Verhältnissen, wohnen nirgends und überall. Ihre Sphäre ist die Öffentlichkeit, die Straße. Sie spielen uns vor, dass Menschsein ein Weg ist, dass sich in einer Wohnung einnisten Stagnation, Isolation und Tod bedeuten kann, dass feste Gewohnheiten zum erstickenden Gefängnis werden können. Sie spielen uns vor, dass Menschsein eine Pilgerschaft ist und immer wieder einen neuen Exodus verlangt, egal, ob ins nächste Dorf, in fremde Länder oder in ferne Sonnensysteme.

Die Heiligen Narren stellen die Konventionen der üblichen Moral auf die Probe, kehren sie um und zeigen so ihre Brüchigkeit und die Heuchelei dahinter. Durch ihr Verhalten legen sie dar, dass Tugend oft nur Schutzwall ist, hinter der sich der Ängstliche verkriecht; dass Moral oft nicht die freie Entscheidung einer Persönlichkeit, sondern das duckmäuserische Annehmen von Ordnungen ist, um vor anderen das wahre Gesicht zu verbergen.

Die Übungen des Frömmigkeitslebens waren für die Narren besonders reizend. Es wird berichtet, dass sie z. B. gerade zu Zeiten des strengsten kirchlichen Fastens große Fressgelage abhielten. Von dem christlichen Heiligen Symeon der Narr (er lebte unter dem Kaiser Justinian I., ca. 527 – 567 n. Chr.) heißt es, dass er sich während des sonntäglichen Hauptgottesdienstes an den Altar vorschlich und dort die Kerzen abbrach. Oder er versteckte sich und warf während einer feierlichen Andacht mitgebrachte Nüsse auf die betenden Gottesdienstbesucher.

Immer wieder dieselbe Haltung, ohne Worte, durch Zeichen: Bildet euch auf eure Ordnungen nichts ein! Glaubt nicht, das Heil oder die Erleuchtung erarbeiten zu können! Glaubt nicht, daß sich göttliche Gnade durch Gehorsam erkaufen läßt oder euch Tugend einen himmlischen Besitzanspruch verschafft! Glaubt nicht, daß ihr das Göttliche beurteilen oder auch nur annähernd einschätzen könnt!

Die Bischöfe des Mittelalters sahen dem Weihnachtsfest jedes Jahr mit Sorge entgegen. Während dieser Tage – bis zum Dreikönigsfest – waren die Kirchen wieder Schauplatz seltsamer Bräuche, die recht archaisch anmuten. Das Narrenfest, Fest der Toren oder auch Fest der Unschuldigen nahm seinen ekstatischen Lauf.

Narr Narren im ChristentumDieses Fest verdiente besser das Fest des Teufels genannt zu werden„, schalt ein wackerer Pfarrer im 17. Jahrhundert, „so fürchterlich unverschämt, entsetzlich anstößig und verabscheuenswürdig schändlich geht es dabei zu.

Einzelheiten dieser Weihnachtsbräuche sind uns aus Edikten, die auf ihr Verbot abzielten, insbesondere aus dem Rundschreiben, das die theologische Fakultät von Paris im Jahr 1444 an die Prälaten und Stifte aussandte, bekannt. Diakone, Subdiakone und Chorknaben traten mit rußverschmierten oder grotesk maskierten Gesichtern in den unwahrscheinlichsten Kostümen auf. Einige waren als Frauen verkleidet, andere trugen das Narrengewand mit Schellenkappe und Zepter, und wieder andere waren in Theaterflitter gehüllt.

Während der Messe wählte man den Narrenbischof oder Narrenpapst. Für gewöhnlich wurde irgendein Bettler dazu auserkoren, dem man mit viel Pomp die Weihen verlieh. Danach führte ihn der Klerus tanzend und frivole Reime singend zum Altar. Dort angelangt, segnete er das Volk und forderte alle auf, sich Blut- und Bratwürste einzuverleiben.

Das Volk trank in den Kirchen aus randvoll mit Wein gefüllten Ziborien, rief einander Flüche und gotteslästerliche Worte zu, mischte in die Predigten derbe Scherze, spielte Karten und Würfel auf dem geweihten Boden und leisteten sich noch schlimmere Verstöße, auf welche die Zeitgenossen nicht schriftlich eingehen, die man sich aber mühelos vorstellen kann.

Der Brauch wollte es auch, dass im Weihrauchfass Stücke von alten Schuhen verbrannt wurden, um an der heiligen Stätte Gestank zu verbreiten. Nach der Messe ergoss sich der ausgelassene Haufen in die Gassen der Stadt, eine Masse auf dem Siedepunkt gotteslästerlicher Tollheit. Erst dem Genie Victor Hugos gelang es im Glöckner von Notre Dame die Gestalt des Narrenbischofs wieder auferstehen zu lassen, zumindest die Farbigkeit und Lebendigkeit dieses wahnwitzigen Brauchtums.

Es gab im Mittelalter verschiedene Varianten des Narrenfestes. Das bekannteste, das Eselsfest, wurde in mehreren Orten Frankreichs gefeiert. Der Eselskult ist eigentlich nichts Erstaunliches, wenn man bedenkt, welch wichtige Rolle dieses Tier in der Heiligen Schrift spielt. In einer anderen Geisteshaltung steht er für die heidnische (später von der Kirche verurteilte satanische) Lebenslust und triebhafte Sexualität.

(Anmerkung: Kurios ist, dass die ersten Christen von den Heiden beschuldigt wurden, einen Eselskopf anzubeten – vergleiche Minucius Felix, Oktavius IX – ; nach Harvey Cox „könnte es auch sein, daß die Christen der Katakomben sich der komischen Absurdität ihrer Situation bewußt waren. Die bejammernswerte Ansammlung von Sklaven, Elendsgestalten und Armen dürfte das Groteske ihres Anspruchs wahrscheinlich gespürt haben“.

Allerdings ist dies nur eine Hypothese; während es Belege für das Glaubensbekenntnis sethischer Gnostiker gibt, die Jesus Christus dem ägyptischen Gott Seth (Bruder/Januskopf des Horus) gleichsetzten. Auch die ketzerischen Katharer und Templer werden mit einem gnostischen Schädelkult in aktuelle Verbindung gebracht. Gemäß alten jüdischen Schriften war Jesus ein Zauberer und Magier. So mag es nicht verwundern, dass man ihn in häretischen Kreisen mit dem janusköpfigen „Baphomet = Vater der Weisheit“ gleichsetzte. Für die Darstellung des Baphomet diente oftmals ein Eselskopf oder ein menschlicher Totenschädel. Man betrachtete diese als „Haupt Gottes“.)

Das Eselsfest des Mittelalters gipfelte in einer langen Prozession, während der die Propheten des Alten Testamentes rezitiert wurden. Schließlich betrat der Held des Tages die Kathedrale: ein mit einem reich bestickten Kardinalsrock bedeckter Esel. Manchmal wurde er auch rückwärtsgehend hereingeführt, indem man ihn am Schwanz zog, während ihm zu Ehren mit Leiern und Blockflöten einige Hymnen der Freude und Anbetung gespielt wurden.

Die Narrenmesse wurde nicht nur in Domen und Stiftskirchen gefeiert, sondern der Brauch hatte sich bis in die Mönchs- und Nonnenklöster verbreitet. Begünstigt durch ihre Abgeschiedenheit und relative Unabhängigkeit von weltlicher und kirchlicher Macht, hielt er sich dort sogar länger als anderswo. Aus dem Brief eines ehemaligen Kartäusers, Mathurin de Neure, an seinen Freund, den Philosophen Gassendi, wissen wir, dass in manchen Klöstern der Provence das Fest der Unschuldigen – mitten im 17. Jahrhundert – zu Ausschweifungen führte, die des Mittelalters würdig gewesen wären.

An diesem Tag zelebrierten bei den Franziskanermönchen von Antibes die Laienbrüder anstelle des Klerus die Messe. Sie zogen zu diesem Zweck zerrissene Messgewänder an und hielten die Heiligen Schriften verkehrt herum. Sie murmelten verrückte Worte, frei nach Fantasie, manche Obszönitäten und grunzten zwischendurch wie die Schweine. Später pusteten sie sich die Asche, mit der die Weihrauchgefäße gefüllt waren, gegenseitig ins Gesicht.

Indem es seine Triebe am Fuße des Altars auslebte, entblößte sich das christliche Volk in seiner ganzen Nacktheit vor Gott und brachte ihm das Opfer seiner geheimsten Wünsche und Verwundungen dar. Erst der Beschluss von Dijon vom 19. Januar 1552 erzwang das Verschwinden des Narrenfestes.

Die Feierlichkeiten hatten bis zu dieser Zeit da und dort noch überlebt, aber der kollektive Rausch war seit langem verschwunden und so überrascht es kaum, dass dieses Abflauen mit dem Beginn der Renaissance zusammenfällt. Ein wesentlicher Bestandteil der mittelalterlichen Geisteshaltung ging damit verloren.

Von der Kirchenführung wurde das Narrenfest bis dahin zwar nicht gebilligt, doch großzügig toleriert. Manche Theologen, von denen leider nur die Briefe, aber nicht die Namen überliefert sind, hatten wohl begriffen, dass das zeremonielle Zuwiderhandeln mit seinen Exzessen ein unentbehrliches Ventil darstellte. Es befreite in einem kurzen Ausbruch das durch eine strenge Liturgie das ganze Jahr über unter Druck stehende Gewissen.

Das vorübergehende Chaos garantierte insgesamt eine dauerhafte Ordnung. Dass solche Feierlichkeiten eine reinigende Wirkung besaßen, verstanden damals nur wenige. Die Kirche selbst wollte in dieser Posse niemals etwas anderes sehen als das skandalöse Überleben heidnischer Riten innerhalb des Christentums und eine untragbare Missachtung der sakrosankten Kirchenhierarchie. Völlig unrecht hatte sie nicht mit dieser Ansicht.

Es ist höchst wahrscheinlich, dass das Narrenfest eine Fortsetzung der Saturnalien war. Diese Zeit des Saturns feierten die Römer ab dem 16. Tag der Kalenden des Januars (unserem 17. Dezember) und sie dauerten ungefähr eine Woche. Während dieser Zeit wurden die sozialen Rollen vertauscht. Die Herren wurden zu Dienern ihrer Sklaven. Sie hatten weder das Recht, den Gehorsam zu verweigern, noch ihre Sklaven später zu strafen. Dieser Brauch wurde auch Dezemberfreiheit genannt.

Nach der Überlieferung hielt man Christus im Angesicht von Pontius Pilatus ebenfalls für einen Verrückten, als er sich König der Juden nannte.

Christus hat es also auf sich genommen, als ein Narr zu gelten, der freiwillig der Belustigung dient und beim Volk Gelächter hervorruft. Es ist die immer wiederkehrende Figur des gedemütigten Hanswursts, des traurigen Clowns, des Komikers, dem die Literatur und die Kunst so viele Verkleidungen geliehen hat, vom Kasperl über die Clochards Becketts bis zu Alfred E. Neumann (mad).

Er ist der geliebte Tor Gottes, der Erste im Himmelreich, aber auch der Erste auf Erden, denn er allein hat teil an der verborgenen Weisheit, die im Unterbewusstsein schlummert.

„Das Universum ist verrückter, als wir denken können …“
„Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt …“

War es nicht Einstein, der dies sagte?

Wenn die vernunftbegabten Menschen den Narren verachten, so weil sie seine Botschaft nicht erkennen oder nicht hören wollen: Die Wahrheit, die er ausspricht, erschreckt sie. Sie stellt eine Bedrohung der normalen Ordnung dar und ist somit unbequem. Aber die närrische Botschaft macht auch wach und bewusst, weil sie die gewohnte Sichtweise sprengt.

Daher kam wahrscheinlich das ungeheure Privileg der Hofnarren – die ursprünglich Schwachsinnige waren – alles sagen zu dürfen, was ihnen durch den Kopf ging.

Die Narrheit besitzt noch eine andere Macht, die nicht weniger magisch ist: jene, die Götter und Menschen in gute Laune versetzt. Selbst die Kirche gestattete sich in alten Zeiten lustige Predigten, wovon wir heute nur träumen können.

Ein Franziskanermönch (die Kinder des heiligen Franziskus waren seit jeher zu Streichen aufgelegt) trägt eines Tages die Leidensgeschichte Jesu Christi vor. Er beginnt ein Kreuz zu schlagen und sagt: „Im Namen des Vaters„, hält inne, zögert, beginnt von Neuem: „Im Namen des Vaters„, hält wiederum inne, wiederholt dies mehrere Male, bis er schließlich hinzufügt: „Ich suche den Sohn und finde ihn nicht. Was ist aus ihm geworden? Ah, er ist der Raserei seiner Feinde erlegen und ist wahrscheinlich tot. Ja, meine Brüder, er ist tot! Und ich werde euch sagen, wie …

Und Gabriel Barletta, ein neapolitanischer Dominikaner im 15. Jahrhundert, berühmt auch er für seine drastischen Predigten, fragte eines schönen Sonntags seine verblüfften Zuhörer, an welchem untrüglichen Zeichen die Samariterin erkannt hatte, dass Jesus Jude sei?

Die damaligen lockeren Zungen erfüllten wunderbar ihren Zweck, denn sie brachten Männer und Frauen auf die Kirchenbänke. Die Kirche zeigte damals noch nicht die säuerliche und langweilige Miene, die sie sich später zulegen sollte. Sie hatte noch Humor und Lebendigkeit.

Wenn man vom Zusammenhang zwischen Narrentum und Christentum spricht, muss man die Goliarden erwähnen. Das Wort bezeichnete im Mittelalter Geistliche, die aus Klöstern entflohen waren und die Welt als Gaukler durchstreiften. Diese Außenseiter der Kirche – nicht mit den Wandermönchen, die es zu allen Zeiten gab, zu verwechseln – tauchten im 12. und 13. Jahrhundert in ganz Europa auf, besonders aber in Frankreich und Deutschland. Sie gaben sich als Jünger des legendären Bischofs Golias aus, dem Prototyp eines liederlichen Priesters, dem zahlreiche zotige Lieder zugeschrieben wurden.

Das Phänomen der Goliarden hat bei Historikern nur selten Beachtung gefunden. Dabei muss es, nach den vielen durch Synodaldekrete ausgesprochenen Verweisen und Verdammungen zu urteilen, ziemlich viele gegeben haben. Man weiß relativ wenig über die Sitten dieser umherziehenden Kleriker oder Vaganten, wie man sie auch nannte.

Was ihnen die Kirche vor allem vorwarf, war das Vagabundieren und die Betätigung als Komödiant. Das Konzil von Salzburg, das 1291 – am Vorabend ihres Verschwindens – zusammentritt, bringt ernstere Beschuldigungen vor: Die Goliarden spazieren nackt in der Öffentlichkeit, sie frönen dem Spiel, treiben sich bei Dirnen und in Schenken herum, sie entweihen die Klöster und Kirchen und attackieren den ordentlichen Klerus.

Wir wissen darüber einiges aus einer ganzen Reihe sog. Goliardischer Schriften, einer Sammlung von Hymnen und Gedichten, zu der die berühmten Carmina Burana gehören. Was bei der Lektüre dieser zum großen Teil satirischen Werke auffällt, ist die ungeheure Bildung, von der sie geprägt sind.

Sind diese Goliarden Rebellen? Protestler? Sicherlich. Aber ungebildet? Nein. Sie haben nur eines schönen Tages beschlossen, alles hinzuwerfen und mit dem Bündel über der Schulter ins Blaue loszuziehen, weil sie die Landstraße und den weiten Himmel bevorzugten, nicht die Enge und Sicherheit der Sakristei.

Wir wissen wenig über die Wege des Mannes mit der Narrenkappe aus der Zeit, bevor er in den Klöstern und Schlössern des Mittelalters wieder auftauchte.

Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts gibt es keinen Königs- oder Fürstenhof in Europa und keinen hochrangigen Landesherrn, reichen Prälaten oder bedeutenden Abt, der nicht ein oder mehrere Hofnarren in seinen Diensten gehabt hätte.

Was zeigt das äußere Bild des abendländischen Narren? Der ganze Narr ist ein Geklingel! Helles Läuten begleitet jede seiner Gesten und verkündet sein Kommen. Diese Glöckchen sollen auf die Unordnung der Dinge, auf das primitive Chaos hinweisen. Waren nicht Schelle und Sister im Altertum die Musikinstrumente bei den Initialriten des Isis- und auch des Bacchuskultes? Und sagt man nicht auch, dass sie wie Kirchenglocken die bösen Geister vertreiben? Schaffen sie so vielleicht um den Narren eine Aura der Unschuld?

Ein weiteres wesentliches Attribut ist das Narrenzepter, was des Narren Narr ist, sein Spiegel und sein Spiegelbild. Das Narrenzepter ist wahrscheinlich phallischen Ursprungs. Es entwickelte sich aus dem Phallus, der im dionysischen Fruchtbarkeitskult in feierlichen Prozessionen umhergetragen wurde und ursprünglich aus einem langen Holzstab bestand.

Man könnte fragen, ob die verschiedenen Insignien des Narren etwas mit denen der Geisteskranken des Mittelalters zu tun hatten. Was die Kappe angeht, ist es nicht sicher. Die Schellen könnten wie die Klapper der Aussätzigen dazu gedient haben, die Leute vor ihrem Kommen zu warnen. Die Vorläuferin des Narrenzepters war möglicherweise die Keule, mit der sich einst die Schwachsinnigen gegen diejenigen verteidigten, die sie mit Steinen bewarfen.

Das Narrengewand ist traditionell gelb und grün und wird ergänzt durch einen Kittel, der am unteren Rand zackig ausgeschnitten ist, was – wie die Rhomben der Harlekine – im Gegensatz zum strengen, geraden Schnitt die Zerstreutheit, die Unstetigkeit und die Fantasie des Narren signalisieren soll.

Gelb und grün sind die Farben der Tollheit im Mittelalter. Gelb war schlecht angesehen, was die Farbe zum Großteil dem schädlichen Einfluss, den man dem Safran zuschreibt, verdankt. Diese im Volksmund Krokus genannte Pflanze soll ätherische Öle enthalten, die eine starke Wirkung auf das Nervensystem ausüben, zum Lachen reizen und sogar Anfälle von Irrsinn hervorrufen können, wenn ihr Geruch zu lange eingeatmet wird.

Grün schätzte man ebenso wenig. Wird Grün in unserer heutigen Kultur als Zeichen der Hoffnung und des Wachstums angesehen, so war die Farbe im Mittelalter Symbol für Ruin und Entbehrung. Bei den Ketzerverbrennungen wurde während der Prozession ein grünes Kreuz getragen. Grün war auch die Mütze, die man bankrotten Kaufleuten am Pranger aufsetzte.

Manchmal kam auch Rot zu den beiden Narrenfarben, sodass manche Narrentracht dreifarbig war, oder aber ganz in Rot. Rot als Komplementärfarbe zu Grün verdeutlichte den Gegensatz und die Lebendigkeit des närrischen Auftritts.

Im hermetischen Sinne spricht man bei einem bunten Narrengewand von dem Gewand des Herrn aus vielen Farben, den seelischen Kräften des Regenbogens.

Die Zeit der Stadtnarren ist noch nicht lange vorbei: Ende des vorigen Jahrhunderts gab es sie noch in manchen Ortschaften Belgiens und Luxemburgs. In Deutschland waren die Stadtnarren besonders weit verbreitet. Kein Stadtfest, kein Privatfest, keine Hochzeit kam ohne Mitwirkung eines Possenreißers, eines Pritschenmeisters oder eines Spruchsprechers (deutsch im Original) aus.

In Nürnberg pflegten bezahlte Possenreißer bis ca. 1790 diese Tradition. Einer von ihnen, Wilhelm Weber, kannte sämtliche ins Deutsche übersetzte Dichter der Antike und schöpfte aus diesem Reichtum, wenn er Satiren und Epigramme gegen seine Mitbürger verfasste.

Die berühmten Fasnachtspiele von Nürnberg und der dortige Schembartlauf sind närrische Umzüge, die im 14. und 15. Jahrhundert jedes Jahr am Montag vor Aschermittwoch stattfanden.

Überhaupt spiegelt die Tradition der Karnevalsaktivitäten bis zum heutigen Tage das Überleben des alten närrischen Brauchtums in Deutschland. Nicht zu vergessen sind auch die Aktivitäten der Zirkusclowns, der zahlreichen Satiriker, Kabarettisten und Comedians.

Anatoli Durow präsentierte als berühmter Clown seinen Text in der Manege wie ein erstklassiger dramatischer Schauspieler. Er übte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine für damalige Verhältnisse unwahrscheinlich gewagte, in Form von Scherzreden gehüllte Kritik an der Regierung.

Anatoli Durow war auch einer jener Besessenen, die ungerechte Unterdrückungen, das Elend und die dennoch nicht geleugnete Lust am Leben in künstlerische Darstellungen umsetzten, um den einfachen Menschen Mut zu machen und die Oberen in ihrer infernalischen Sattheit zu verhöhnen.

Es wird deutlich, dass die Narren oftmals Schauspieler sind, die sich und die anderen reflektierend im Spiegel betrachten, um spielen zu können.

Die Narren in der Antike

Bereits bei den antiken Göttern findet man den Narren in Gestalt des Mom(us). Er ist der Sohn der Nacht, Gott der Kritik und des Spottes, Zensor der Göttersitten, der mit seinen Sticheleien auch Zeus/Jupiter nicht verschonte. Nur die Liebesgöttin fand Gnade vor seinen Augen, denn sie war die Vollkommenheit selbst. Lediglich ihr Schuhzeug gefiel ihm nicht. Schließlich wurde er vom Olymp vertrieben und suchte Zuflucht bei Bacchus, dem Gott der Weinrebe, der ihn wohlwollend aufnahm, denn Trunkenheit und Wahnsinn passen zueinander.

Steigt man vom Götterhimmel hinab, so findet man unzählige der dienstbaren Narren bei den Persern und in Ägypten, wo es in Gräbern des Sieben-Gaue-Gebietes Darstellungen von reichen Ägyptern gibt, die von missgestalteten Personen begleitet wurden. Selbst der Herrscher der Hunnen, Attila, erholte sich in Gesellschaft seines Narren. Sie begegnen uns ebenfalls im Sanskritepos Ramayana, sodass es wahrscheinlich ist, dass sie auch in den indischen Hochkulturen einen festen Platz hatten.

Sie versprühen ihren Witz in Griechenland und später in Rom, wo sie nur dazu da waren, die Familien während der Mahlzeiten zu unterhalten. Im alten Rom hießen sie gelotopoioi (die Lachen machen).

Narr Narren in der AntikeDie Gruppe der Aretalogen gehörte zu den armen Philosophen der stoischen und zynischen Schule, die sich, da sie weder Schüler noch Mäzene hatten, genötigt sahen, an den Tafeln der Reichen den Narren zu spielen. Bei Sueton lesen wir, dass Augustus immer einen dieser Narrenphilosophen um sich hatte.

Ist diese Tätigkeit eines wahren Philosophen unwürdig? War denn nicht auch Diogenes der Clown der Stadt? Und lebte nicht auch Sokrates als Parasit, wie die Mehrzahl seiner Kollegen? Weit davon entfernt, das Lachen gering zu schätzen, bedienten sie sich eines amüsanten Paradoxons, um bei ihren Gesprächspartnern die ersten Funken der Wahrheit zu entzünden.

In Rom ging an der Seite des umjubelten Kriegshelden während seines ganzen Siegeszuges ein Mann, der ihm ununterbrochen vorsagte: „Rescipiens post te hominem memento te“ („Vergiss hinter dich blickend nicht, dass du nur ein Mensch bist“). Dies sollte dazu dienen, den Größenwahn bei den Betreffenden einzudämmen: ein typisch närrisches Vorhaben, um die Mächtigen an ihre Verletzlichkeit zu erinnern.

Die Römer bewiesen zu allen Zeiten eine große Schwäche für Witzbolde. Plutarch erzählt, dass auch Marc Anton an diesen Händlern der Sorglosigkeit erstaunliches Interesse hatte: Sein Haus, das Generälen und Botschaftern meistens verschlossen blieb, war Tummelplatz für Narren aller Art.

Die griechischen und römischen Unterhalter werden meistens kahlköpfig dargestellt (mimus calyus).

Lucilius berichtet, dass man den Narren nur eine Haarsträhne auf der Schädelspitze ließ, die so behandelt wurde, dass sie gerade in die Höhe stand wie ein Federbusch.

Im griechischen Palast von Syrakus wurden sie Dionysocolaces (Parasiten des Dionysos) genannt.

Dionysos, der griechische Gott, ist als Kind von den Titanen zerrissen und verschlungen worden. Nach dem Mythos wurde er wiedergeboren als Gott der Ekstase und der Lust, des Weines und der Lebenskraft, des Spermas und der Fruchtbarkeit. Man nannte ihn Lusius, den Befreier, dessen großes Geschenk für die Sterblichen darin bestand, dass er sie von ihrem gewöhnlichen, gehemmten Selbst befreite, indem er sie in seinen orgiastischen Ritualen in eine Raserei trieb, in denen sie wahnsinnig und heilig zugleich wurden …

Ist der Narr nun ein Erbstück der Antike nach dem Fall des Römischen Reiches oder überdauert in ihm ein uraltes Erbe aus verschollenen Zeiten und Räumen?

Es ist wahrscheinlich, dass unsere keltisch-germanischen Vorfahren sich ebenfalls dieses lebendigen Archetyps der Seele bedienten. Ein Beispiel: Der Aufgabenkreis des keltischen Barden bestand in Mythologie, Metrik, Sprechkunst, Musik, Gesang und Vortragskunst. Der Bardenlehrling (Mabinog) genoss eine jahrzehntelange Ausbildung, sodass seine mündliche Vortragskunst später gewaltig war.

Im germanischen Götterhimmel tanzt Loki aus der Reihe! Er gilt als Spaß- und Spottvogel, raffinierter Lügner, Trickster und Gott des Chaos. Letztlich mögen ihn die anderen wenig.

Im Spiel des Tarot fällt der Narr aus der Zahlenreihe, er ist der Joker, der jede Kraft ersetzen kann. Nach verschiedenen Auffassungen gehört der Trumpf O (Null) entweder vor die anderen Trümpfe oder danach, als 22. Karte (nach dem Universum beginnt das Universum nebenan!). Wenn die Karten als Rad gelegt werden (Guillaume Poste leitet Rota von Taro ab), befindet sich der Narr zwischen dem Beginn und dem Ende und stellt somit das Unendliche dar, den Ground Zero, worauf alles aufgebaut wird oder worauf alles endet. In seiner Nicht-Existenz steht der Narr für die höchste Flexibilität innerhalb der archetypischen Kräfte des Kosmos.

Der englische Okkultist A. Crowley assoziierte den Narren im Tarot-Spiel mit dem ägyptischen Gott Hor(us), den die Griechen Harpocrates nannten. Darstellungen von Horus auf dem Schoß seiner Mutter beeinflussten die christliche Ikonografie der Jungfrau mit Sohn. Die Ägypter feierten die Geburt von Horus am 25. Dezember (unserer Zeitrechnung). Der junge Gott wurde mit einer gefiederten Sonnenscheibe auf dem Kopf gezeigt. In einigen Tarotspielen hat der Narr einen gefiederten Hut. Die Feder war im alten Ägypten das Emblem göttlicher Wahrheit.

Der indianische Weg des Clowns

Die heiligen Indianerclowns werden oft so dargestellt, als seien sie nur dazu da, den tödlichen Ernst der Zeremonien durch komische Einlagen aufzulockern.

Ein Medizinmann der Apachen erklärt dazu: „Die Leute denken, der Clown sei nichts, er sei nur zum Spaß da. Das ist nicht so. Wenn ich andere maskierte Tänzer mache und die Dinge dadurch nicht zurechtrücken kann, dann mache ich den Clown und der versagt niemals. Viele Leute, die über diese Dinge Bescheid wissen, sagen, daß der Clown der Mächtigste ist.

Narr Narren bei den IndianernDem Clown (Heyokah/Heyeokah) der Sioux erscheint in einer großen Vision das Donnerwesen. Dessen Stimme ist der Donnerschlag, seine Blicke blitzartig. Durch eine Heyokah-Zeremonie wird das in der Vision gegebene Versprechen eingelöst, auf der Erde als Mensch für das Donnerwesen zu arbeiten. Wer dem Donnerwesen nicht durch Clownerien dienen wollte, den erschlug ein Blitz aus seinem Auge. Ein Heyokah – weiblich oder männlich – macht viele scheinbar törichte Dinge: Er reitet z. B. rückwärts auf seinem Pferd und hat dabei die Stiefel verkehrt herum an.

Dadurch drückt er aus, dass er zugleich kommt und geht. Der indianische Clown deckt die Paradoxa des Lebens auf und regt sein Volk dadurch zum kreativen Nachdenken an. Er wickelt sich in Decken ein, wenn es brütend heiß ist, und er sagt immer ja, wenn er nein meint.

Lahmer Hirsch sagt dazu: „Während er herumalbert, führt der Clown in Wirklichkeit eine spirituelle Zeremonie aus.

Diese Handlungen offenbaren das Wissen um eine andere Wirklichkeit: eine gestaltlose Welt reiner Kraft und Energie, deren Symbol der Blitz ist. Nach einer Aussage von Schwarzer Hirsch geht es darum, „die Leute zuerst heiter und glücklich zu machen, so daß es für die Kraft leichter ist, sie zu besuchen.“ Durch die widersprüchliche Arbeit des Heyokah werden sie zum Lachen gebracht und für die unmittelbare Erfahrung geöffnet. Der Beginn religiöser Zeremonien ist bei einigen Stämmen erst dann möglich, wenn alle Leute (vor allem die Fremden) gelacht haben.

Doch der rituelle Humor, den der Heyokah im Laufe eines Festes entwickelt, löst dann meistens alles andere als heiteres Einverständnis aus und soll das auch gar nicht. Den verrückten Tänzern der Arapaho sagt man nach, sie verhielten sich so lächerlich wie möglich und belästigten jeden im Lager; der Hanswurst der Cahuilla in Südkalifornien ärgert die Leute, indem er ihnen glühende Kohlen auf den Rücken fallen lässt oder mit Wasser spritzt.

Und die Falschen Gesichter der Irokesen schaufeln beim Betreten eines Hauses glimmende Asche mit den Händen aus der Feuerstelle und sprühen damit um sich, so dass alle schreiend durcheinander laufen. Die Clowns der Assiniboine und Navajos erschrecken ihre Zuschauer auf deftige Art. Manchmal wechseln die scherzhaften Dinge zu ausgesprochenem Terror. In der visionären Erfahrung der Clowns der great plains ist ein Hinweis auf die Bedeutung des potenziellen Terrors enthalten. Dazu Schwarzer Hirsch:

Wenn eine Vision von den Donnerwesen im Westen kommt, dann kommt sie mit Schrecken, wie ein Gewitter. Aber wenn der Sturm der Vision vorbei ist, dann ist die Welt grüner und glücklicher. Denn wo die Wahrheit der Vision über die Welt kommt, ist sie wie Regen. Die Welt ist nach den Schrecken des Sturms einfach glücklicher.

Wer durch diese stürmische Erfahrung gegangen und ein Visionär, ein Heyokah, geworden war, konnte zukünftig dem Blitz seiner Furcht standhalten. Er hatte die Angst überwunden, eines der größten Hindernisse auf dem spirituellen Weg. Der Heyokah betrachtete sich zukünftig als Visions-Zünder für seine Stammesangehörigen.

Bei den Sioux und Cheyenne war es üblich, diese Visionen vor dem ganzen Stamm darzustellen. Die Heyokah wurden auch Gegenteiler genannt, weil sie immer eine andere Meinung als die übliche vertraten. Sie stellten Falschheit als Wahrheit dar und umgekehrt. Daraus ergab sich eine sinnvolle Spiegelung des Gesamtbildes und der beratende Kreis konnte seine Ansichten noch einmal überdenken, bevor ein endgültiger Beschluss gefasst wurde, bei dem die Gegenteiler allerdings kein gültiges Stimmrecht hatten.

Als Gegenteiler bauten sie Hütten, wo das Innere außen, das Äußere innen und der Rauchabzug an der falschen Seite war. Sie gingen in Lumpen gekleidet rückwärts ein und aus, setzten sich an die Tipis, mit den Beinen an der Wand hoch und dem Rücken auf der Erde, während sie ihren Rat gaben. Das löste allgemeines Lachen aus, und nicht selten fand ihre paradoxe Weisheit ein Gehör, auch wenn sie nicht wählen durften.

Verrückt, wie sie waren, jäteten sie Unkraut rückwärts, indem sie hinter ihnen stehende Pflanzen durch die Beine hindurch ergriffen.

Angeblich handelten sie so schnell wie der Blitz im Sturm, um dadurch eins mit der heiligen Macht zu werden. Nach indianischer Vorstellung sollte sich ein Heyokah von allen üblichen Denkweisen befreien, besonders in den Fragen: „Was ist heilig?“ oder „Was ist gefährlich?“

Die Frage der Heiligkeit war für die indianischen Clowns einfach zu beantworten. Da alles heilig für sie war, war auch nichts heilig! Und so betrachteten sie jegliche Tabuisierung als willkommene Herausforderung. Dass die indianische Religion einen Raum für die zersetzende, verrückte, aber auch kreative Kraft des Narren hat, ist vielleicht ihre größte Stärke. Der Revolutions-Freibrief des Clowns ist bei einigen indianischen Nationen im heiligen Text des Schöpfungsmythos enthalten.

Der erste Koshari (Clown) der Acomawar immer in Bewegung, stachelte die Leute auf, redete Unsinn oder sprach rückwärts. Er redete laut an heiligen Orten, obwohl es dort sehr still sein sollte. Da er nichts als heilig ansah und vor nichts Angst hatte, hatte er überall Zugang.

Natürlich konnten die Stammesangehörigen mit so einem Energiebündel nicht ständig leben, sodass sie ihn hauptsächlich um Hilfe riefen, wenn es um neue Ideen und kreative Gedanken ging.

Die Acoma vermeiden bewusst durch die Zulassung des Clowns das Erstarren ihrer Religion durch immer mehr Esoterik!

Eine interessante Heilmethode, die heute noch von den Clowns einiger Stämme angewendet wird, ist „das plötzliche, Furcht einjagende Lachen …

Die Assiniboine, Plains-Cree und Plains-Ojibwa vertreiben so die schon eingetretene Krankheit aus dem Körper des Leidenden. Die Navajos bleiben plötzlich stehen, rennen auf den Kranken zu und versuchen ihn in die Höhe zu werfen. Die Gegenteiler der Cheyenne heilen, indem sie den Kranken mit dem Kopf nach unten halten, während sie außerdem die obigen Methoden anwenden.

Eine andere Praxis: sehr schnell und in drohender Haltung auf jemanden zuzulaufen und dann über ihn hinweg zu springen oder mit einem kochend heißen Stück Hundefleisch nach ihm zu werfen. Die Betroffenen werden durch diesen Schock umgepolt.

(Anmerkung: die Schock-Methode ist übrigens ein bewährtes Heilmittel auch bei den sibirischen Schamanen, welche die Kranken u.a. sogar durch Festbinden und nachfolgende körperliche Gewaltausübung geheilt haben, wobei Rituale und Rauschzustände oftmals diesen Prozess begleiteten.)

Die Kranken werden geheilt, indem fruchtloser Kummer und unnütze Gedanken von ihnen abfallen. Ein von Kummer befreiter Geist ist für viele indigene Völker eine vorbeugende Kraft gegen Krankheiten, also Krankheitsvorsorge.

In einem Gebet der Tewa heißt es: „Geht nun heim, ohne Kummer, ohne Tränen, ohne Traurigkeit.

Ein Hopi-Clown kann seinem Volk nur mit einem glücklichen Herzen helfen. Die Hopis sagen: „Krankheit und Tod haben ihren Grund vor allem im Kummer, er setzt sich hauptsächlich im Bauch fest und läßt ihn hart werden„. Der Clown selbst ist immun gegen Bauchleiden, auch gegen Vergiftungen. Manche Clowns im Südwesten Nordamerikas essen alle Arten von Schmutz, ohne sichtbaren Schaden zu nehmen und zeigen so ihre Immunität. Adolph Bandelier schrieb 1882 in einem Bericht über den Auftritt der Clowns im Chonchiti-Pueblo: „Das Ganze ist eine schmutzige, obszöne Angelegenheit. Sie tranken Urin aus Nachtgeschirren, aßen Exkremente und Schmutz.

Während der Koshari-Einweihung in Acoma „nahm einer der Alten ein Gefäß, urinierte hinein und mischte den Harn mit Heilkräutern, ein anderer fügte Nasenschleim hinzu, und die koshari-Frau riß sich etwas Schamhaar aus und warf es mit hinein.

Beim Tanz der Gehörnten Wasserschlange tranken die sieben Chükü-Clowns der Hopi mit Behagen etwa fünfzehn Liter ausgereiften Urin. Zu Heilzwecken benutzt der Clown der Hopi auch gewöhnlichen Schmutz.

Da indianische Clowns meist arm sind, betteln sie um ihre Nahrung oder stehlen sie. Trotz ihrer Armut haben sie Macht und können Schrecken verbreiten. Wenn sie auf Betteltour sind, werden sie daher bereitwillig versorgt. Will jemand ihnen nichts geben, so bewerfen sie ihn mit Schmutz und stehlen sich von ihm, was ihnen gefällt.

Diese aggressive Schamlosigkeit, die Schuldgefühle nicht kennt, erstreckt sich auch auf die Sexualität. Sie gebärden sich auf schockierende Art ungezwungen. Jemez-Clowns machen den Frauen eindeutige Anträge, Ponca-Clowns kriechen am helllichten Tage an Frauen heran und berühren plötzlich ihre Genitalien. Früher trugen die Ponca-Clowns riesenhafte Dildos.

Stephen berichtet über die Hopi des ausgehenden 19. Jahrhunderts: „Ein als Frau verkleideter Clown kommt mit einem Wasserbecken auf die Plaza und wäscht sich die Beine. Diese respektlose Posse läßt sich durchaus als Hinweis verstehen, sich nicht an etablierte Geschlechterrollen zu klammern. Zumindest demonstriert diese Haltung die Freiheit der indianischen Narren von engen Verhaltensmustern.

Wir können uns glücklich schätzen, daß einige Ethnologen diese Bräuche aufgezeichnet haben, als sie noch ihre ursprüngliche Gestalt hatten. Allerdings benutzten sie das Lateinische für ihre brisanten schriftlichen Ausführungen.

Vor etwa achtzig Jahren startete das Bureau of Indian Affairs in den U.S.A. eine religiöse Verfolgungsaktion wegen dieser fragwürdigen Bräuche. Auch die christlichen Missionare sind in ihrer Prüderie nicht müde geworden, gegen das närrische Treiben der indianischen Stämme zu Felde zu ziehen. Im Kodex religiöser Verbrechen war der Kernpunkt obszöne Praktiken.

(Anmerkung: Die Vorwürfe erinnern fatal an die Beweggründe der Hexenverfolger des europäischen Mittelalters und an die Bekämpfung heidnischer Praktiken bis zum heutigen Tage, die sich ebenfalls aus dem Abscheu vor befremdlichen sexuellen Praktiken selbst legitimieren.)

Die Darstellungen der indianischen Clowns jedenfalls sind seither nicht mehr das, was sie einmal waren!

Der Narr in der Moderne

Zeitgenossen, die auch in unserer Zeit nicht mehr sprechen können, sondern nur noch Zeichen geben von dem, was sie bewegt, gibt es genug.

Die großen Narren des 20. Jahrhunderts heißen Buster Keaton, Charlie Chaplin, Jacques Tati. Und mit ihnen begann wieder der ewige Kampf von David gegen Goliath. Ob dieser Riese Faschismus oder Wirtschaftsdiktatur heißt, man weiß, dass Goliath nie ganz unbeschädigt aus dieser Prüfung hervorgeht.

Die Vertreter des Volkes haben sich ihrerseits in Szene gesetzt und rücken mit der Unterstützung audiovisueller Medien die Theaterelemente des politischen Lebens ins rechte Licht.

Narr Narren in der ModerneDer Verkauf eines Kandidaten durch die Medien unterscheidet sich inzwischen wenig von der Vermarktung eines Waschmittels. Glücklicherweise kommt es vor, dass das künstlerische Theater oder das Kabarett sich rächt und den Wählern eine närrische (wirkliche) Version der politischen Vorgänge zur Verdauung auftischt.

Wenn alle Menschen verrückt sind, kann der einzig Vernünftige nur ein wahrer Narr sein! Das ist im Wesentlichen das entscheidende Paradoxon, wenn man es psychologisch betrachtet. Und da der Narr keineswegs verantwortlich gemacht werden darf und man sich bei ihm amüsiert, findet die Wahrheit bei ihm allein Zuflucht.

Aber diese Wahrheit darf der Narr niemals in einer klaren unmittelbaren Form aussprechen, er muss sie notwendigerweise in einen Scherz kleiden. Denn die Fiktion des Wahnsinns muss für die Zuhörer unter allen Umständen bewahrt bleiben, die Illusion, es nicht ernst nehmen zu müssen. Ein Zugeständnis der Narrheit an die herrschende Macht? Nennen wir es lieber den Gipfel der Ironie!

Möglicherweise geben uns die Zeichen der Narren Aufschluss über das, was wir das Nichts nennen.

D.T. Suzuki berichtet uns einige Weisheiten: „Geh‘ zu Fuß, indem du auf einem Esel reitest!“ – „Sprich, ohne deine Zunge zu benutzen!

Was sollen diese Koans (Paradoxa)? Es sind literarische Figuren der Narrheit, in denen die Zen-Meister ihren Schülern zeigen, dass nicht allein die intellektuelle Durchdringung eines Problems die Lösung bringen wird. Sondern wir sollten mit der ganzheitlichen Fähigkeit unserer rational-logischen und emotional-intuitiven Anlagen arbeiten.

Suzuki schreibt: „Es ist so, als würden wir bis zur Spitze einer Stange hochklettern, die hundert Fuß lang ist, und werden doch gedrängt, immer weiter zu klettern, bis wir schließlich einen verzweifelten Sprung tun und dabei unsere Sicherheit völlig außer acht lassen. Im Augenblick des Springens finden wir uns sicher auf dem vollerblühten Lotos-Sockel. Ein solcher Sprung kann niemals mit Hilfe von Gedankenarbeit und Logik der Dinge unternommen werden.

Lassen wir uns von den göttlichen Narren aus der Geschichte und in der Gegenwart an die Hand nehmen und entdecken wir den fool in unserem Inneren! Er lehrt uns das Lachen, das eine plötzliche Öffnung oder Erschütterung des Universums bewirkt. Das Lachen ist ein Durchbruch durch die Barriere des Intellekts. Während wir lachen, verstehen wir etwas, und das bedarf dann keiner weiteren Beweise. Während wir lachen, sind wir frei von allen Beengungen durch unsere Persönlichkeit oder der Persönlichkeit anderer.

Ein Zen-Mönch berichtet, ein wohlplatzierter, plötzlicher Tritt seines Meisters, völlig unerwartet, habe ihm zur Erleuchtung verholfen, und „seit diesem Tritt von Ma Tsu kann ich nicht mehr aufhören zu lachen …“

Textquellen:

  • „Das Alte Testament“ – Die Heilige Schrift
  • Inge Hölscher (Eire Rautenberg): „Foolish People“
    – Wahnsinn und Weisheit der Narren –
    Sphinx Magazin (vergriffen)
    Sphinx Verlag, Basel 1982
  • Maurice Lever: „Zepter und Narrenkappe“
    Geschichte des Hofnarren
    Verlag Dianus Trikont, München 1983
  • „Fools everywhere!“
    Das Narrenbuch
    Grüner Zweig 56
    Verlag Grüne Kraft – Werner Pieper – , Lörbach 1978
  • Olga Kharitidi: „Das weiße Land der Seele“
    Verlag Paul List, München 1996
  • Keith Laidler: „Das Haupt Gottes“
    Der Stamm Davids, die Templer und die wahre Natur des Heiligen Grals
    Scherz Verlag, München 1998
  • Ross Nichols: „Das magische Wissen der Druiden“
    Heyne Tb (Sphinx) 3035, München 1998
  • Martha Sills-Fuchs: „Wiederkehr der Kelten“
    Verlag Dianus Trikont, München 1983
  • Rudolf Simek: „Lexikon der germanischen Mythologie“
    Kröner Verlag, Stuttgart 1995

    In Partnerschaft mit Amazon „Lexikon der germanischen Mythologie“
    von Rudolf Simek,
    Gebundene Ausgabe – 550 Seiten – Kröner
    1995

  • Schwarzer Hirsch: „Die Heilige Pfeife“
    Lamuv Verlag, Göttingen 2000 (11. Auflage)

    In Partnerschaft mit Amazon „Die Heilige Pfeife. Das indianische Weisheitsbuch der sieben geheimen Riten.“
    von Schwarzer Hirsch, Hans Läng, Joseph Epes Brown,
    Broschiert – 256 Seiten – Lamuv
    2000

  • Schwarzer Hirsch: „Ich rufe mein Volk“
    Lamuv Verlag, Göttingen 1999 (12. Auflage)

    In Partnerschaft mit Amazon „Ich rufe mein Volk.“
    von Schwarzer Hirsch, John. Neihardt
    Broschiert – 261 Seiten – Lamuv
    Juli 1999

  • D.T. Suzuki: „Zen-Geist, Anfänger-Geist“
    Theseus Verlag, Berlin 2001 (10. Auflage)

    In Partnerschaft mit Amazon „Zen-Geist, Anfänger-Geist.“
    von Shunryu Suzuki
    Gebundene Ausgabe – 159 Seiten – Theseus
    Dezember 2002

  • „Zen ohne Zen-Meister“
    Zen-Parabeln, Witze, Meditationshilfen, Übungsanweisungen
    Verlag Camden Benares / Volksverlag, Linden 1979

Eire Rautenberg