Demokratie: Geschichte und Sinnsuche einer Herrschaftsform

Ist die Menschheitsgeschichte ein Sozialisationsexperiment, an dessen Ende die Demokratie stehen soll? Als die ersten Menschen die Welt wahrnahmen, fanden sie sich mit zwei Realitäten konfrontiert: mit der absolut unbeherrschbaren und der potenziell beherrschbaren Natur.

Geschichte und Kritik an der DemokratieDer Eine fühlt sich mehr von Hintergründigem angesprochen, der andere mehr von Vordergründigem.

Jeder hat spezielle Fähigkeiten, damit kann eine Skala sozialer Belange ohne Verletzung natürlicher Rechte abgedeckt werden. Darauf beruht die Idee der Demokratie.

Die Praxis lässt erkennen, wenn Talente in einer sozialen Einheit zur Entfaltung kommen und sinnvoll eingesetzt werden, dann kann es zum Nutzen einzelner wie auch aller sein. Die Wirklichkeit aber macht meist einen Strich durch die Rechnung.

Schuld sind menschliche Schwächen, eigene und solche, die von außen den persönlichen Wesenskern verformen. In kleinen urzeitlichen Gruppen, wo jeder Mensch sich selber und der Natur noch nahe war, konnte es gut funktionieren, in der komplizierter werdenden Welt und dem Einzug erster zivilisatorischer Zwänge aber änderte sich das.

Erstaunlich ist, dass trotz aller menschlichen Schwächen und aller Irrwege der Geschichte die Idee der Demokratie und die Bedeutung des Naturrechts bis heute geblieben sind. Heute gehört beides zur Grundlage der Menschenrechte. Die Hoffnung auf eine bessere Welt lässt sich so leicht nicht unterkriegen!

Überblick

Althistoriker nehmen an, dass es aufgrund von Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten im griechischen Mutterland in spätarchaischer Zeit (7. und 6. Jh. v. Chr.) und des Vorhandenseins eines unabhängigen öffentlichen und politischen Denkens zu einer Vorstufe der Demokratie kam, der Isonomie.

Isonomie

In der Isonomie war die Gewaltenteilung noch nicht vollständig vollzogen. Aufgrund der Erfolge der freien griechischen Poleis während der Perserkriege (5. Jh. v. Chr.) wurde die Entwicklung beschleunigt und fand ihren Endpunkt in der Demokratie.

Demokratie

Der Begriff Demokratie hat im Griechischen seine Wurzel und setzt sich aus den Begriffen démos „Volk“ und kratia „Herrschaft“ zusammen, also Volksherrschaft. Auf der Basis der Naturrechte konnte die Idee der Gleichberechtigung der Freien nach heftigem Ringen des einfachen Volkes mit dem Adel und den Reichen, in eingeschränkter Form errichtet werden. Die Mitgestaltungsbefugnisse hingen vom Status der Person ab: Sklaven, Frauen und Ausländer waren ausgeschlossen.

In dieser Demokratie bekamen die Bürger die Möglichkeit, in einer auf breiteren Schichten basierenden politischen Ordnung mitzuwirken. Daraus entstand im Zeitraum der Perserkriege und des Peloponnesischen Krieges die attische Demokratie.

Attische Demokratie

Unter der Führung Athens entstand der Attische Seebund mit dem Ziel die Perser von der Ägäis mit ihren griechisch besiedelten Inseln fernzuhalten. In geschichtlicher Sicht war die attische Demokratie die frühe Vorläuferin einer auf das Prinzip der Volkssouveränität gegründeten politischen Ordnung. Mit ihr wurde ein Verfassungstypus entwickelt, der allen Bestrebungen zur Ausweitung direktdemokratischer Ansätze als Modell dienen konnte.

Römische Republik

Als Römische Republik res publica „öffentliche Sache“ bezeichnet man die Staatsform in der Zeit nach dem Ende der Königsherrschaft (509 v. Chr.) und dem Beginn des römischen Kaisertums (27 v. Chr.). Die Römische Republik verwirklichte eine quasi demokratische Gesellschaft auf der Basis der Idee der Gleichberechtigung der Freien, wobei das oligarchische Prinzip (Herrschaft der Reichen) bestimmend war.

Durch Wahl wurden die Kandidaten für die republikanischen Magistrate (Ämter) für jedes Jahr neu bestimmt. Die historische Bedeutung Roms dürfte die Etablierung einer frühen Form des Rechtsstaats sein. Noch heute dient dieses Konzept als Grundlage unseres Demokratieverständnisses.

Ende der frühen Demokratien

Octavian organisierte im Römischen Reich (27 v. Chr.) die Übergabe der republikanischen Amtsvollmachten auf seine eigene Person und begründete damit den Prinzipat. Er erhält den Ehrennahmen Augustus und wurde so zum ersten Kaiser des Römischen Reiches. Die Regierungsform blieb dem Namen nach republikanisch, doch die Macht lag allein in den Händen des Princeps „des Ersten unter den Gleichen“.

Mit dem Untergang des Römischen Reiches (476 n. Chr.) verschwand die Idee der Demokratie nicht vollständig. In verschiedenen Ländern stand man in der Tradition der germanischen Volksversammlung, dem Thing. Sie erwiesen sich später als der Grundstein für neuzeitliche Parlamente.

Eine neue Qualität der demokratischen Bewegung setzte erst mit der Entstehung des britischen Unterhauses im 13. Jahrhundert ein. Dieses anfangs rudimentäre Parlament hatte nur sehr wenig Rechte und war der Macht des Monarchen fast schutzlos ausgeliefert. Mit der Entwicklung der absoluten Monarchie verringerten sich die Einflussmöglichkeiten sogar.

Zaghafter Neuanfang

Durch den englischen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert entstand mit dem britischen Unterhaus eine Volksvertretung mit umfangreichen Rechten. Das bedeutendste Dokument des Parlamentarismus ist die Bill of Rights von 1689, in der dem Parlament Immunität, Verfügung über die Finanzen und Recht auf Zusammensetzung ohne Aufforderung des Königs zugestanden wurde. Damit waren die Grundrechte eines modernen Parlaments festgelegt. Die erste neuzeitliche Demokratie war entstanden.

Im Gegensatz zum System der attischen Demokratie wurden die Sklaverei und die Leibeigenschaft abgeschafft, dafür wurde ein allgemeines und gleiches Wahlrecht für alle Männer, die als „frei geboren“ galten, eingeführt. Wie bereits in der Antike, so betrachtete auch die englische Oberschicht demokratische Bewegungen mit größtem Misstrauen. Sie fürchteten den Verlust ihrer Privilegien und die Macht des Pöbels.

1762 veröffentlichte Jean-Jacques Rousseau seine Idee vom Gesellschaftsvertrag und etablierte mit dieser Vertragstheorie die identitäre Demokratie, die Herrscher und Beherrschte gleichsetzt. Das so entstandene Prinzip der Volkssouveränität basiert auf dem Gemeinwillen des Volkes. Auch die von John Locke und Charles Montesquieu etablierte Gewaltenteilung in Legislative, Judikative und Exekutive wird als elementarer Bestandteil eines modernen demokratischen Rechtsstaates betrachtet.

Geburt moderner Demokratien

Demokratie KritikZur rechtsstaatlichen Regelung von 13 ehemaligen britischen Kolonien in Nordamerika wurden Konföderationsartikel verfasst, die auf dem Prinzip der vollständigen Souveränität der Einzelstaaten beruhten. Das war die erste verfassungsrechtliche Grundlage der Vereinigten Staaten und Vorläufer der amerikanischen Verfassung.

Benjamin Franklin und andere amerikanische Staatsmänner ließen sich bei der Ausgestaltung der amerikanischen Verfassung unter anderem auch von der Räte-Verfassung anregen, die sich 5 im Bund der Irokesen vereinigten Indianerstämme gegeben hatten.

1787 entstand unter Berücksichtigung der philosophischen Vorbilder, des englischen Parlaments, der irokesischen Verfassung sowie der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika der erste moderne demokratische Staat.

Am 3. Mai 1791 gab sich Polen mit einer neuen Verfassung als zweiter Staat eine demokratische Staatsordnung und war damit der erste demokratische Staat in Europa.

Diese Prozesse inspirierten die Französische Revolution (1789 bis 1799) und führten zu einer schrittweisen Demokratisierung anderer europäischer Länder.

Für Deutschland war die Weimarer Republik (1919 bis 1933) die erste demokratisch verfasste Staatsform. Der Begriff Demokratie erscheint in der Weimarer Verfassung allerdings nicht. Seit der sogenannten Oktoberverfassung 1918 unter Wilhelm II. bestand in Deutschland die parlamentarische Monarchie. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 wurde der demokratische Gehalt durch die NS-Gesetzgebung völlig vernichtet. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gibt es die Bundesrepublik Deutschland. Das Demokratieprinzip wurde im Grundgesetz als Ewigkeitsklausel festgelegt.

Herrschaftsformen auf demokratischer Basis

Im Laufe der Geschichte hat die Demokratie unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren,

Grundformen sind:

  • Repräsentative Demokratie: Hier sind Repräsentanten des Volkes für eine begrenzte Zeit zur Mitbestimmung autorisiert. Nach Ablauf dieser Periode muss über die Zusammensetzung der Volksversammlung durch Wahl neu entschieden werden.
  • Direkte Demokratie / Basisdemokratie: In der direkten Demokratie nimmt das Volk unmittelbar und unvertretbar durch Abstimmung über Sachfragen und Staatsgeschehen teil.

Beispiele demokratischer Staatsformen:

  • Präsidiale Bundesrepublik (USA): Republik, in der der Präsident sowohl Staatsoberhaupt, als auch Regierungschef ist.
  • Föderale Parlamentarische Bundesrepublik (Deutschland): Bund mehrerer teilsouveräner Gliedstaaten.
  • Semipräsidiale Republik (Frankreich): Regierungssystem, das sowohl Elemente des Parlamentarismus als auch des Präsidialsystems aufweist.
  • Föderale präsidiale Republik (Russland): Mehrere Föderationskreise unter einem gemeinsam gewählten Präsidenten.
  • Konstitutionelle Monarchie (England): König/Königin ist einer demokratischen Verfassung unterworfen.

Probleme und Chancen in der Gegenwart

In einer Welt, wo religiöser Glaube nicht wirklich überzeugen kann und die verbliebenen Gläubigen zerstritten sind, wo entweder das praktische Denken dominiert, oder einfach nur die Fixierung auf egoistische Ziele oder kurzfristige Hochgefühle besteht, fehlt der verbindende Geist. Man redet zwar viel von Gerechtigkeit, Menschenrechten und Demokratie, weiß aber, dass es Idealvorstellungen sind, die, gemessen an der erlebten Wirklichkeit, weit vom Ideal entfernt sind.

Das gewaltige Wissen aber, über das die moderne Weltgesellschaft verfügt, würde ausreichen, um damit ein Paradies für alle zu schaffen – ein Paradies, in dem es wirklich gerecht und demokratisch zugeht. Offensichtlich fehlt dazu die richtige Anwendung des Wissens. Sofern sie sich nicht missbrauchen lässt, geht die Wissenschaft zwar erfolgreich damit um, nicht so die Wirtschaft und Politik. Gravierender Mangel der freien, realitätsbezogenen Wissenschaft allerdings ist, dass sie in ethischen Fragen nicht weiterhelfen kann.

Man sucht also nicht nur nach der "wahren" Demokratie, sondern auch nach dem für alle Menschen verbindlichen und begreifbaren Maßstab für Moral und Ethik. Dann erst, wenn diese Voraussetzung erfüllt wäre, hätte Demokratie wirklich eine Chance. Vielen Menschen ist das bewusst. Viele setzen sich dafür ein, bislang leider mit mäßigem Erfolg.

Auch wenn es paradox klingt: Eine Chance für mehr Demokratie ist die derzeit überall zunehmende Unzufriedenheit. In aller Welt stehen Bürger und Bürgerinnen auf und verlangen mehr Gerechtigkeit. Interessant dabei ist, dass die meisten wissen, dass Gewalt kein Mittel ist, um Argumente zu ersetzen. Viele wissen aber auch, Argumente, wie sie heute (aufgrund des Weltbildes) zur Verfügung stehen, reichen nicht für die Durchsetzung der elementaren Rechte.

Vorteil der gegenwärtigen Generation bei ihrem Drang nach besserem Leben, nach Wahrheit und Gerechtigkeit ist, dass sie nicht nur über gewaltiges Wissen, sondern auch über lichtschnelle Informations- und Kommunikationstechnik verfügt.

Gebot der Stunde: Umdenken!

Offensichtlich stimmt etwas nicht mit unserem Weltbild. Darum mangelt es auch aller Orten an Moral. Die Wissenschaft, die so viel kann, kann uns – wie wir wissen – auch nicht weiterhelfen. Sie versteht ja ihre größten Erfolge selber nicht. Sie geht mit Energie um, weiß aber nicht was Energie ist; sie geht mit Leben um und manipuliert es, weiß aber nicht was Leben ist.

Wen wundert es da, dass dieses auf Wissen aufgebaute Weltbild keinen für alle gültigen Maßstab für ethisches Handeln zu bieten hat. Folglich fehlt in Politik, Wirtschaft und Alltag allzu oft der Bezug zur Realität.

Was aber ist es, das so hartnäckig den Weg zum Verstehen versperrt? Wahrscheinlich liegt es an unserem seit der Antike gewachsenen Weltbild, ihm unterliegt auch die Wissenschaft. Dieses bis in die Zeit der Moderne auf eine höhere Macht zentrierte und irgendwie gerundete Weltbild durchlief Entwicklungsphasen: vom magischen Weltbild zum mystischen, dann zum mentalen und schließlich zum heutigen technisch rationalen, das zwar von höheren Mächten befreit, aber zentrumslos und immer noch irgendwie geschlossen ist.

Es war ein schwieriger und doch erfolgreicher Weg. Jetzt aber scheinen die Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft zu sein. Es gibt nur noch Pseudofortschritt, was eigentlich Leerlauf ist.

Wie es scheint, fordert uns jetzt das Leben auf, die in langem Ringen erschlossene Realität neu zu deuten. Das heißt gründlich Umdenken! … Wie aber soll das gehen, wenn man nicht wieder Utopien, Ideologien oder sonstigen Weltbildfantasien zum Opfer fallen möchte?

Was wäre zu tun?

Wie die Welt wirklich ist, wissen wir nicht. Hierin liegt die eigentliche Ursache des Scheiterns aller Versuche, die "wahre" Demokratie zu verwirklichen und den zuverlässigen Orientierungsmaßstab zu finden.

Fraglos ist jetzt jenes Umdenken gefordert, das schmerzhaftes Trennen von tief eingewachsenen Gewohnheiten verlangt. Das heißt, wenn die Ansicht von der Welt den Anforderungen des Lebens nicht mehr gerecht wird, sollte nach einem besseren Welt- und Wertesystem gesucht werden, an dem sich jeder Mensch und jede soziale Organisation orientieren kann.

Unsere Vorfahren sahen sich mit dem gleichen Problem konfrontiert. Sie wussten sich aber zu helfen und gaben dem Weltsystem ein überweltliches Zentrum. Das war entweder eine Geister- oder Götterhierarchie oder aber ein über der Welt thronender Gott als Alleinherrscher. Heute im Wissenschaftszeitalter sind solche Kunstgriffe nicht mehr notwendig. Wir haben genug belegte Beweismittel, um der Realität auf den Leib zu rücken. – Aber, wie gesagt, wir müssen von Analogien Gebrauch machen und zum Abstrahieren bereit sein.

Schlussbemerkung

Wenn wir heute von "Demokratie" reden, sprechen wir nicht über eine einheitliche Idee, die von allen gleichermaßen verstanden und umgesetzt wird. Was "Demokratie" bedeutet, beantworten verschiedene Länder jeweils anders – d.h. sie versuchen den Anspruch der "Volksherrschaft" nach ihrer "nationalen" Vorstellung umzusetzen.

Ist eine Antwort einmal gefunden, wird diese nicht weiter in Frage gestellt. Doch ist in all den gegenwärtigen Formen von demokratischen Systemen wirklich das Volk der Souverän? Oder müssen wir zugeben, dass wir noch auf der Suche sind und nur eine vorläufige Antwort geben können, die der "eigentlichen Idee" der Demokratie noch gar nicht vollständig entspricht?

Wenn wir zugeben, dass wir auf die Frage "Was heißt Demokratie?" noch keine endgültige Antwort geben können, muss auch ein Raum für mögliche Veränderungen oder Verbesserungen geschaffen werden. So könnte beispielsweise aufgrund eines realistischen Weltbildes und eines ganzheitlichen Blicks – sowie der globalen Wechselwirkungen von Entscheidungen – keine rein nationale Politik mehr betrieben werden.

Die Realität zeigt jetzt schon: Die Erde ist klein geworden. Ihre Ressourcen sind begrenzt, die materiellen wie die organischen. Außerdem gibt es bereits so viel Menschen auf dieser Erde, dass Lebensräume und Versorgungsmöglichkeiten knapp geworden sind. Hinzu kommt, dass sich beim exponentiellen Wachstum der Weltbevölkerung die brisante Lage ganz schnell weiter verschlechtert.

Ein weiteres Problem ist die Unmöglichkeit, im gegenwärtigen Weltwirtschafts- und Zivilisationssystem allen arbeitswilligen Menschen sinnvolle und gerecht bezahlte Arbeit zu geben. Die Produktionskapazitäten sind jetzt schon zu groß, und sie wachsen mit immer weniger Beschäftigten immer weiter.

Angesichts dieser Lage ist international solidarische Politik gefragt. Überdies können Wirtschaft und Technik nicht länger abseits des Lebens stehen, wenn die finale Katastrophe verhindern werden soll.

Heinz Altmann